Berlin. Thomas de Maizière will den Schutz vor Anschlägen verbessern. Dafür will der Innenminister auch ein paar heikle Themen ansprechen.

Den Stempel „Geheim“ trägt das Papier zwar nicht, aber als politischer Coup wurde es im Innenministerium dann doch vorbereitet. Schon der Titel lässt ahnen, dass es für Innenminister Thomas de Maizière (CDU) um alles geht: um die „Erhöhung der Sicherheit in Deutschland“. Gibt es Wichtigeres nach den jüngsten Terrorattacken?

Am Donnerstag, Punkt zwölf Uhr, will de Maizière im Ministerium vor die Kameras treten – High Noon in Alt-Moabit – und einen Maßnahmenkatalog vorstellen. Er wird für Aufsehen sorgen. Längst sprach sich herum, dass de Maizière sich nicht scheuen wird, auch heiße Eisen anzupacken. So wie die ärztliche Schweigepflicht: Die will er lockern.

Ärztliche Schweigepflicht und Abschiebung sind heiße Eisen

Der Attentäter von Ansbach war psychisch krank, aber hatte seine Ärzte nicht von der Schweigepflicht entbunden. Auch der Pilot, der 2015 ein Germanwings-Flugzeug mutwillig zum Absturz brachte, und zuletzt der Amokläufer von München waren psychisch krank und deswegen in ärztlicher Behandlung.

Macht beim Thema Terror-Bekämpfung auch vor heiklen Themen nicht Halt: Bundesinnenminister Thomas de Maiziere (CDU).
Macht beim Thema Terror-Bekämpfung auch vor heiklen Themen nicht Halt: Bundesinnenminister Thomas de Maiziere (CDU). © dpa | Michael Kappeler

Ein weiteres heißes Eisen ist das Thema Abschiebung. Ausländische Gefährder und ausreisepflichtige Ausländer will der Minister schneller zurückführen, zumindest umgehend in Abschiebehaft nehmen, wenn die öffentliche Sicherheit gefährdet ist. Dazu müsste er freilich Gesetze ändern.

De Maizière muss in diesem Sommer liefern

Andere Maßnahmen hingegen kann de Maizière leichter, vor allem aus eigener Kraft umsetzen, zum Beispiel die geplante Stelle zur Entschlüsselung von Internetkommunikation. Die will er nun schneller aufbauen. Dazu muss er nur den Haushaltsauschuss überzeugen, mehr beziehungsweise früher Finanzmittel freizugeben.

Kein Kabinettsmitglied steht so in der Pflicht wie de Maizière. Erst vor zwei Wochen, am 27. Juli, hatte sich Kanzlerin Angela Merkel lange mit ihm beraten. Seither war dem Minister klar, dass er „liefern“ muss und dass ihm ein Sommer der Bewährung bevorsteht.

Dabei geht für Merkel Gründlichkeit vor Schnelligkeit. Sie hat einen Neun-Punkte-Plan vorgelegt und will keinen zweiten Schnellschuss. Jetzt müsse es eine „gründliche Analyse“ geben. Ihrem Minister trug sie auf, sich mit seinen Länderkollegen ins Benehmen zu setzen. Was Merkel bis zur Bundestagswahl durchsetzen will, muss vorher mit dem Koalitionspartner, mit der SPD, abgestimmt sein. Andernfalls wird es in Bundestag und Bundesrat jäh gestoppt.

CDU-Innenminister planen „Berliner Erklärung“

Indes erschweren just Parteifreunde de Maizière die Überzeugungsarbeit. Am 4. September wird in Mecklenburg-Vorpommern und 14 Tage später in Berlin gewählt. In beiden Ländern sind die Spitzenkandidaten der CDU für innere Sicherheit zuständig, Lorenz Caffier in Schwerin, Frank Henkel in Berlin. Für den 18./19. August lud der Berliner die weiteren sieben CDU-Länderinnenminister zu einer Konferenz ein. Dann wollen sie sich mit einer „Berliner Erklärung“ profilieren – Schützenhilfe für Caffier und Henkel, aber neuer Ärger für de Maizière. Denn neben einigen unverfänglichen Forderungen enthält die Erklärung zwei Punkte, die de Maizière ablehnt: ein Burkaverbot und die Abschaffung der doppelten Staatsbürgerschaft.

Der zweite Punkt klingt für Sozialdemokraten und Grüne wie eine Provokation. Die SPD hatte die Forderung nach der doppelten Staatsbürgerschaft mühsam im Koalitionsvertrag durchgesetzt. Grünen-Fraktionschef Toni Hofreiter schimpft, „die Abschaffung der doppelten Staatsbürgerschaft hat mit Terrorbekämpfung nichts zu tun“. Derartige Vorschläge zielten nicht auf mehr Sicherheit, sondern auf den Wahlkampf mit der AfD, sagte er unserer Redaktion. Das sei in der gegenwärtigen Lage „infam und verantwortungslos“. Die Unions-Innenminister nennt Hofreiter „Verunsicherungsminister.“

Merkel gegen Änderungen beim Staatsbürgerschaftsrecht

Noch aus dem Urlaub ließ die Kanzlerin am Mittwoch über eine Sprecherin für die Bundesregierung klarstellen, dass sie nicht plane, das Staatsbürgerschaftsrecht zu ändern. Sie will die SPD nicht über Gebühr reizen. Die Sozialdemokraten sind befremdet, weil Merkels Minister aus lauter Sorge, er könnte im indiskreten Berlin um den Überraschungsmoment gebracht werden, bis Mittwochmittag nicht den Koalitionspartner eingeweiht hatte – ebenso wenig das Justizministerium und die CDU-Innenpolitiker im Bundestag. Einer von ihnen, der erfahrene Wolfgang Bosbach, sagt eine „lebhafte Debatte“ voraus.

Auf andere ist de Maizière erst recht beim Thema Abschiebung angewiesen. Die Länder sind dafür verantwortlich und stehen regelmäßig unter Druck. Sie schieben dem Bund ihrerseits den Schwarzen Peter zu, weil insbesondere die Rückführung in die Maghrebstaaten nur schleppend vorankommt. Gut möglich, dass es zu einem Abschiebegipfel kommen wird, damit sich Bund und Länder abstimmen.

Einen schnellen Erfolg wird de Maizière auch bei der ärztlichen Schweigepflicht nicht erzielen können. Das Patientengeheimnis wird als Grundrecht durch die Verfassung geschützt. Der Arzt darf die Schweigepflicht, die über den Tod des Patienten hinaus gilt, schon heute nur insoweit brechen, wenn dies zum Schutze eines höherwertigen Rechtsgutes erforderlich ist. Letztlich ist das nur in spezifischen Einzelfällen vorstellbar, zum Beispiel, wenn der Patient seinen Arzt informiert hat, dass er einen Terroranschlag plane.

Minister will für „dringend nötige Rechtsklarheit“ sorgen

De Maizière ahnt, dass er vermintes Feld betritt. Er wolle für die Zustimmung der Mediziner werben und so „die dringend nötige Rechtsklarheit schaffen“. Er will helfen, das Dilemma der Ärzte aufzulösen, das durch ihre standesrechtliche Verpflichtung zur Wahrung des Patientengeheimnisses und ihrer gesetzlichen Verpflichtung zur Anzeige einer geplanten Straftat bestehe. „Einem konstruktiven Dialog mit der Politik und den Behörden über konkrete Fallsituationen steht die Ärzteschaft selbstverständlich offen gegenüber“, so der Präsident der Bundesärztekammer, Frank Ulrich Montgomery, in einer Erklärung. Für de Maizière war es ein Hoffnungsschimmer: Sie wollen reden.