Washington. Donald Trump fabuliert über ein Attentat auf Hillary Clinton. Nun soll der Dampfplauderer sogar vom Secret Service vernommen werden.

Bislang hatte der Secret Service in Amerika allein die Aufgabe, Donald Trump bei seinen Auftritten im US-Wahlkampf zu beschützen. Jetzt könnte sich die Arbeitsplatzbeschreibung des exklusiven Sicherheitsdienstes für das Weiße Haus und den Rest der Regierung kurzfristig ändern. Nach seiner Rede in North Carolina soll der republikanische Präsidentschaftskandidat von der Sondereinheit vernommen werden – als Verdächtiger. Der 70-Jährige hat am Dienstag nach Lesart der meisten Zeitungen und Internetnutzer verklausuliert zur Gewalt gegen seine demokratische Rivalin Hillary Clinton und künftige Richter am Obersten Gerichtshof angestachelt. „Sein mit Abstand bisher größter Skandal“, sagen Parteikollegen in Washington gegenüber dieser Redaktion, „kann ihn endgültig den Kopf kosten.“

Trump bezichtigte Clinton, das in der Verfassung besonders geschützte Recht auf Waffenbesitz abschaffen zu wollen. Was nachweisbar gelogen ist, aber von seinen Anhängern bereitwillig geglaubt wird. Clinton werde dazu nach ihrer Wahl die Richterbank des Supreme Court in Washington so besetzen, dass die entsprechende Passage (second amendment – zweiter Zusatzartikel) gekippt wird.

Dort heißt es im Lichte des über 200 Jahre zurückliegenden Unabhängigkeitskriegs, dass eine gut ausgebildete Miliz für die Sicherheit eines freien Staates erforderlich sei, und das Recht des Volkes, Waffen zu besitzen und zu tragen, nicht beeinträchtigt werden dürfe. Bis heute wird damit der nahezu schrankenlose Waffenbesitz legitimiert. Rechtsextreme Kreise und Verschwörungstheoretiker leiten daraus ein Aufstandsrecht gegen eine allmächtige Regierung her. So weit würde Trump aber keinesfalls gehen.

Sein Lager reagiert wie immer – mit Beschwichtigung

Aber in einer Turnhalle in Wilmington rief er: „Falls sie es schafft, ihre Richter auszuwählen, könnt ihr nichts tun, Leute“. Mit „sie“ war Clinton gemeint. In die Welle von Protestrufen setzte Trump mit dem erratischen Satz nach, der ihm landesweit um die Ohren gehauen wird: „Obwohl, die Unterstützer des zweiten Zusatzartikels – vielleicht gibt’s da – ich weiß nicht.“

Binnen Minuten brach im Internet eine Welle der Empörung los. Von „Mordaufruf“ und „Todsünde“ war die Rede. Und vom „Staatsfeind Nr. 1 Donald Trump“, der Clinton zum „Abschuss freigegeben hat“. „Das war eine Attentatsdrohung“, sagte der demokratische Senator Chris Murphy, „eine nationale Tragödie und Krise ist um einiges wahrscheinlicher geworden.“

Hillary Clinton sprach ihrem Rivalen die Eignung als Präsident und Oberbefehlshaber der Streitkräfte ab. Mit seinen jüngsten Bemerkungen habe er eine Grenze überschritten: „Wenn Du Dich um das Präsidentenamt bewirbst, oder Präsident der Vereinigten Staaten bist, dann können Deine Worte gewaltige Konsequenzen haben“, sagte Clinton am Mittwoch während einer Rede in Des Moines (Iowa). Trump habe nicht das Temperament, um Präsident zu sein.

Trumps Lager reagierte wie immer – mit Beschwichtigungen. Der Kandidat habe nur Menschen zusammenschweißen und zur Wahl animieren wollen, die sich – wie er selbst – gegen jede Einschränkung der Waffengesetze wehrten. Alles andere sei die „Fabrikation der unehrlichen und böswilligen Medien.“

Partei soll ihren Kandidaten abberufen

Dort wurde die Tonlage gegen den chronischen Tabubrecher, der sich durch fortgesetzte Entgleisungen und Lügengeschichten ins Umfragetief bugsierte, über Nacht noch unversöhnlicher. „Entsorgt Trump!“, verlangt die „New York Daily News“. Andere Leitkommentatoren forderten Trumps Verzicht auf die Kandidatur. Oder seine Abberufung durch die republikanische Partei. „Der Unglückszug muss vom Gleis, bevor es eine Katastrophe gibt“, stellte der frühere republikanische Abgeordnete Joe Scarborough fest, heute einer der bekanntesten politischen Fernsehmoderatoren.

Was damit gemeint ist, kann nur vor dem Hintergrund der politischen Blutspur verstanden werden, die sich durch die Geschichte der USA zieht. Präsident John F. Kennedy, sein Bruder Robert und der Bürgerrechtsheld Martin Luther King fielen Attentaten zum Opfer, Präsident Reagan wurde angeschossen. Den Abzug betätigten Einzeltäter, oft mit psychischen Störungen.

Seit Januar 2011, seit der demokratischen Kongressabgeordneten Gabby Giffords wegen ihres Engagements für die Gesundheitspolitik von Präsident Obama in Arizona auf einem Parkplatz von dem Extremisten Jared Loughner in den Kopf geschossen wurde, weitet sich der Blick.

Vergiftetes politisches Klima

Seinerzeit hatte die frühere republikanische Vizepräsidentschaftskandidatin Sarah Palin im Internet demokratische Gegner sprichwörtlich ins Visier genommen. „Zieht euch nicht zurück, ladet durch!“, forderte sie ihre Anhänger auf und zeigte Porträtfotos im Fadenkreuz. Darunter Giffords. Als die Frau des Weltraumpiloten Mark Kelly auf der Intensivstation um ihr Leben rang, dämmerte es vielen US-Amerikanern: Das vergiftete politische Klima im Land hatte die Tat begünstigt. Niemand brachte das besser auf den Punkt als Giffords: „Zuerst wird mit Worten geschossen, danach mit Waffen.“ Geht das jetzt wieder los?

Dass Donald Trump diesen Kontext ignoriert, obwohl erst vor Kurzem die britische Labour-Abgeordnete Jo Cox von einem rechtsradikalen Nationalisten erschossen wurde und obwohl vor 24 Jahren Israels Premierminister Rabin ebenfalls einem von Tiraden angespornten politischen Irrläufer zum Opfer fiel, ist seinen Kritikern erneut Beweis für die These: „Trump würde der gefährlichste und rücksichtsloseste Präsident, den Amerika jemals hatte.“ Seiner Methode, die stets dem Muster Provokation – Richtigstellung – Gegenangriff folgt, stehen laut Umfragen immer mehr Amerikaner distanziert gegenüber. Aktuell liegt seine Konkurrentin Clinton in vielen Bundesstaaten bis zu 15 Prozent vorn. 20 Prozent der republikanischen Wähler wollen seinen Ausstieg aus dem Rennen.

Clinton stellt Waffenbesitz gar nicht infrage

Anders als Trump, der jüngst beim Jahrestreffen der „National Rifle Association (NRA)“ in Louisville sogar eine flächendeckende Bewaffnung von Schulen forderte, um Amokläufer schneller neutralisieren zu können, wirbt Clinton für ein Verbot von halbautomatischen Sturmgewehren in Privathand und für lückenlose Überprüfungen potenzieller Waffenkäufer. Das geradezu heilige Grundrecht auf Waffenbesitz stellt Clinton mit keiner Silbe infrage. Trotzdem behauptet Trump regelmäßig: „Sie will uns unsere Waffen wegnehmen.“

Ein Argument, das links der politischen Mitte nicht verfängt. Umso mehr in Trumps Wutbürger-Pool. Mit Unbehagen registrieren Wahlanalytiker darum, dass im Trump’schen Lager bereits für den Fall einer Niederlage im November vorgebaut wird. Trumps Büchsenspanner, darunter der halbseidene Roger Stone, sagten vor laufender Kamera, dass es ein „Blutbad“ geben werde. Die Menschen würden sich nicht mit den Ergebnissen einer „gefälschten“ Wahl zugunsten Hillary Clintons abfinden. Donald Trump hat sich bis heute nicht davon distanziert.