Berlin. Volker Kauder, CDU/CSU-Fraktionschef im Bundestag, sieht „mit Sorge“ Versuche der türkischen Regierung, hierzulande Einfluss zu nehmen.

Seit dem niedergeschlagenen Militärputsch in der Türkei werden die Töne aus Ankara immer schriller. Der Vorsitzende der Unionsfraktion im Bundestag, Volker Kauder, fürchtet Verwerfungen auch in Deutschland.

Die Türkei fordert ultimativ Visafreiheit für ihre Staatsbürger in der Europäischen Union – und droht damit, den Flüchtlingspakt aufzukündigen. Welche Reaktion empfehlen Sie, Herr Kauder?

Volker Kauder: Aus Ankara hören wir häufiger drohende Worte – aber was zählt, sind Taten. Die Türkei hält sich beim Flüchtlingsabkommen an ihre Abmachungen mit der Europäischen Union. Sie versorgt nach wie vor die rund drei Millionen Flüchtlinge, die dort Aufnahme gefunden haben, und sie unterbindet das Schlepperwesen. Auch die EU ist vertragstreu. Sie beteiligt sich an der Finanzierung von Maßnahmen, die dazu führen, dass die Flüchtlinge dort ein halbwegs menschenwürdiges Leben führen können: dass sie also Arbeit finden und ihre Kinder in die Schule schicken können. Wenn die türkische Regierung nun das Flüchtlingsabkommen als Hebel benutzen will, um die Visaliberalisierung durchzusetzen, so kann ich nur sagen: Sie hat es doch selbst in der Hand, ihren Bürgern die Reisen in die EU zu erleichtern. Sie muss nur noch die letzten fünf der 72 Kriterien erfüllen, die Voraussetzung für die Einreiseerleichterungen sind. Daran kann die EU allerdings keine Abstriche machen.

Sie beharren auf einer Reform der türkischen Anti-Terror-Gesetze – was Ankara kategorisch ablehnt.

Kauder: Man darf nicht vergessen: Im Grunde hat Ankara selbst ein Interesse daran, das Flüchtlingsabkommen nicht aufzukündigen. Präsident Erdogan weiß, dass die Türkei in wirtschaftlicher Hinsicht stark von Investitionen aus Europa abhängig ist.

Weiß er das wirklich? Erdogans Vorgehen gegen tatsächliche und vermeintliche Gegner weckt erhebliche Zweifel.

Kauder: Wir haben den Staatsstreich sofort als Angriff auf die Demokratie in der Türkei verurteilt. Wir erwarten jetzt natürlich von Ankara, dass es in seiner Reaktion gegen die Putschisten die Verhältnismäßigkeit wahrt und rechtsstaatliche Grundsätze achtet. Die Massenverhaftungen und zahlreichen Entlassungen, die Repressalien gegen die Medien und der Umgang mit den Gefangenen bringen Demokratie und Rechtsstaat in ernste Gefahr.

Können die Beitrittsverhandlungen mit der Türkei wie geplant weitergeführt werden?

Kauder: „Wenn die Türkei die Wiedereinführung der Todesstrafe beschließt, ist sicher eine rote Linie überschritten. Man kann es nicht unwidersprochen lassen, wenn rechtsstaatliche Grundsätze nicht eingehalten werden.“

Gegner des türkischen Präsidenten werden auch in Deutschland bedroht. Greift der Konflikt auf unser Land über?

Kauder: Das dürfen wir nicht zulassen. Dass die Demonstration Zehntausender Deutschtürken am vergangenen Sonntag in Köln friedlich verlaufen ist, werte ich jedenfalls als gutes Zeichen. Türkischstämmige Bürger, die hier leben, müssen sich an unser Recht und unsere Gepflogenheiten halten. Ihre Loyalität muss in erster Linie Deutschland gelten. Das ist Voraussetzung für das Gelingen von Integration. Die Versuche der Einflussnahme vonseiten der türkischen Regierung und der Regierungspartei AKP auf die hier lebenden türkischstämmigen Bürger beobachte ich deshalb mit Sorge.

Welchen Rolle spielen dabei die deutschen Islamverbände?

Kauder: Von den Islamverbänden erwarte ich zum einen, dass sie die Integration muslimischer Mitbürger hierzulande fördern. Dass sie ihren Mitgliedern klarmachen: Die Verfassung und das Recht stehen in Deutschland über der Religion. Mit Blick auf die Gefahr durch den islamistischen Terrorismus wünsche ich mir von den Islamverbänden eine engere Zusammenarbeit mit den Behörden. Sie müssen ein wachsames Auge darauf haben, ob es in ihrem Umfeld Radikalisierungstendenzen gibt. Wir müssen zudem darauf achten, dass von Ankara gesteuerte Islamverbände in Deutschland nicht zu großen Einfluss erhalten. Meines Erachtens sollte man es nicht zulassen, dass ein Verband wie Ditib, der offenbar Sprachrohr von Präsident Erdogan ist, den islamischen Religionsunterricht in Schulen gestaltet.

Seit den Anschlägen von Würzburg und Ansbach, die von syrischen Asylbewerbern begangen wurden, wächst der Widerstand gegen die Flüchtlingspolitik von Kanzlerin Merkel. Sehen Sie Korrekturbedarf?

Kauder: Nein. Wir haben – nicht zuletzt durch den Abschluss des EU-Türkei-Abkommens – erfolgreich daran gearbeitet, dass sehr viel weniger Flüchtlinge zu uns kommen. Damit haben wir ein wichtiges Zwischenziel erreicht. Aber es bleibt dabei: Um die Flüchtlingsbewegung nachhaltig zu reduzieren, müssen wir die Fluchtursachenbekämpfung noch intensivieren. Auch die Europäische Union als Ganzes ist weiterhin gefordert – vor allem was die bessere Überwachung der Außengrenzen und die faire Verteilung der Flüchtlinge auf alle EU-Mitgliedstaaten angeht. In Deutschland liegt jetzt das Hauptaugenmerk auf der Integration derjenigen, die eine Bleibeperspektive haben. Hier haben wir schon viel in Angriff genommen, um den Menschen den Einstieg in unsere Gesellschaft zu erleichtern. Wir erwarten allerdings, dass sie auch selbst ihren Beitrag dazu leisten.