Wien. Österreich fordert, die EU-Beitrittsverhandlungen mit Ankara sofort zu stoppen. Auch der Flüchtlingsdeal mit Erdogan sei auf der Kippe.

Österreichs Kanzler Christian Kern spricht sich für ein Ende der EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei aus. So, wie sie jetzt liefen, seien die Gespräche eine „diplomatische Fiktion“, sagte Kern am Mittwochabend dem ORF-Fernsehen.

„Wir wissen, dass die demokratischen Standards bei weitem nicht ausreichen, um einen Beitritt zu rechtfertigen“, sagte Kern. Mindestens genauso gravierend sei die wirtschaftliche Frage, weil die Türkei hier dem europäischen Durchschnitt weit hinterherhinke: „Ich sehe einen Beitritt der Türkei auf Jahre, wenn nicht auf Jahrzehnte für ein Ding der Unmöglichkeit an.“

Kanzler Kern verlangt ein neues Konzept

Kern kündigte an, das Thema am 16. September im Europäischen Rat zur Diskussion zu stellen. „Wir werden ein alternatives Konzept verlangen“, sagte er. Nach dem Putschversuch war insbesondere die Debatte zur Einführung der Todesstrafe auf scharfe Kritik in der EU gestoßen. Mehrere EU-Politiker haben deutlich gemacht, dass eine Wiedereinführung der Todesstrafe ein Ende der Beitrittsgespräche mit der Türkei bedeuten würde.

Gleichzeitig forderte der österreichische Außenminister Sebastian Kurz eine Alternative zum Flüchtlingsabkommen der EU mit der Türkei. „Wir können uns nicht zurücklehnen und darauf hoffen, dass der Deal mit der Türkei hält“, sagte Kurz dem „Spiegel“.

Wiens Außenminister: „Nicht vor Ankara in die Knie gehen“

Der ÖVP-Politiker fügte hinzu: „Wir dürfen gegenüber Ankara nicht in die Knie gehen, sondern müssen unsere Grundwerte verteidigen.“ Die EU brauche dafür zunächst „eine wirkliche Grenz- und Küstenwache“. Wer an den Außengrenzen aufgegriffen werde, müsse „in Hotspots auf Inseln“ versorgt und in sein Herkunftsland oder ein sicheres Transitland gebracht werden, wie Australien dies praktiziere.

Zudem sollte nach Ansicht von Kurz durch Umsiedlungsprogramme ermöglicht werden, dass eine begrenzte Zahl von Flüchtlingen legal in die EU einreisen darf. Außerdem müsse mehr investiert werden, um die Lebensbedingungen in Herkunftsländern von Flüchtlingen zu verbessern. (dpa/rtr)