So urteilt die Presse über Angela Merkels Pressekonferenz
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Berlin. Kritik, aber auch Lob – das Presseecho auf Angela Merkels Auftritt in Berlin ist gemischt. Und John Lennon spielt auch eine Rolle.
Der Auftritt der Bundeskanzlerin am Donnerstag vor der Bundespressekonferenz war mit Spannung erwartet worden. Lesen Sie hier, wie die Medien auf die hundert Minuten reagieren.
„Süddeutsche Zeitung“: „Merkel würde vermutlich auch den Untergang der Titanic oder eine Rückkehr John Lennons von den Toten als „Bewährungsprobe“ oder „einen interessanten Vorgang“ bezeichnen. Als sie danach gefragt wurde, ob sie nicht manchmal erschöpft sei, sagte sie, sie sei nicht ,unterausgelastet’. Wow. Merkel kann, wenn sie sich gerade mal nicht als ANGELA MERKEL fühlt, ganz normal reden. Sie sollte das häufiger und gerade jetzt tun, weil in der Zeit der Äxte und der Rucksackbomben das Vertrauen in ihr Wir-haben-das-schon-immer-so-gemacht-Management stark schwindet.“
„Frankfurter Rundschau“: „Wieder machte dieser Auftritt den Kontrast zwischen der Unruhe im Land und dem Stil der Kanzlerin mit Händen greifbar. Ihre manchmal fast roboterhafte Sachlichkeit hat sich von der Realität noch weiter entfernt. Das Land spürt, dass es nicht mehr genügt, ein Sicherheitsgesetz hier und eine Asylverschärfung dort zu „erarbeiten“, damit wir alle so weiterleben können wie bisher. Deutschland ist mit einem gehörigen Schrecken aufgewacht, aber die Kanzlerin singt ihre Schlaflieder weiter. Und darin liegt ihr Scheitern.“
„Handelsblatt“: „Zu Merkels Markenzeichen zählen Besonnenheit und Geduld. Während etwa der französische Präsident François Hollande meist kurz nach einem Attentat vor die Kameras tritt, um Entschlossenheit zu demonstrieren und die Einheit der Nation zu beschwören, war von der Bundeskanzlerin wie üblich tagelang nichts zu hören. Zuletzt hatte es so ausgesehen, als ob sie mit ihrer Politik der sehr ruhigen Hand nicht weiter durchkommen würde. Doch sie steuert behutsam gegen: Seht her, ich habe verstanden - das ist die Botschaft, die sie mit ihrem Auftritt vor der Presse aussenden will.“
„Die Welt“: Die Bürger schätzen Politiker, die selbst im Sturm einen kühlen Kopf bewahren und erst dann auftreten, wenn sie etwas von Belang zu sagen haben. Helmut Schmidt war ein solcher Politiker. Selbst im ,Heißen Herbst’ 1977 verbreitete Schmidt das Gefühl, die Geschicke des Landes in der Hand zu halten und wichtigeres zu tun zu haben, als dem Zeitgeist hinterherzurennen. Merkel ist nicht Schmidt. Vor allem fehlt ihr sein geschliffenes Wort. Doch auch sie strahlte auf ihrer Pressekonferenz eine ruhige Willenskraft aus, die ihre Wirkung nicht verfehlen wird.“
Merkels Pressekonferenz – die Zitate
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„Schwäbische Zeitung“: „Auch wenn die Kanzlerin ihren Urlaub unterbrochen hat, um sich zu Wort zu melden, wirkt sie doch so, als ob sie die Stimmung im Land nicht kennt. Ihre Politik des langen Abwägens, einst geschätzt, trifft jetzt auf zunehmendes Unverständnis. Von der Kanzlerin wird ein ,Wir haben verstanden’ erwartet, eine große Geste, eine ernste Ansprache. Stattdessen aber bleibt sie stoisch bei ihrem ,Wir schaffen das’ und fügt spitz hinzu, dass es einfach sei, habe sie ja nie gesagt.“
„Der Tagesspiegel“: „Das ist die Lage: Das Land ist verunsichert – und Angela Merkel hat nicht nur keinen Plan, sie sagt noch nicht einmal, ob sie die Verantwortung weiter tragen will. ,Wir schaffen das’ – ja, wie? Und mit ihr oder ohne sie? In so einer angespannten Lage auf einen günstigeren Zeitpunkt zu warten, ehe sie sich erklärt, ist zu klein, zu taktisch im Angesicht der großen Bewährungsprobe. Das Land muss schon wissen, woran es ist. Auch mit dieser Bundeskanzlerin.“
Hauptstadt Inside von Jörg Quoos, Chefredakteur der FUNKE Zentralredaktion
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