Rio de Janeiro. Vor der Eröffnungsfeier kommt in Rio de Janeiro keine Olympiastimmung auf. Einwohner befürchten, dass die Spiele eine Blamage werden.

Es fällt in diesen Tagen schwer, in Rio de Janeiro so etwas wie Olympiastimmung auszumachen. Man sieht vielmehr die Auswirkungen von Wut und Frust über die Mega-Sportveranstaltung. Da sind die Olympischen Ringe am hippen Strand Copacabana, die Unbekannte mit Sprüchen gegen die Regierung, gegen die Wirtschaftskrise und für mehr Ausgaben für Bildung verunstaltet haben.

Da sind diese gigantischen Plakate nahe des Olympiaparks, auf denen Vandalen das Motto der Spiele: „Rio – um mundo novo“ (Rio – eine neue Welt) mutwillig zerstört haben. Und da sind vor allem die Menschen, die abwinken, wenn man sie auf die Spiele vom 5. bis zum 21. August anspricht. „Ich drücke die Daumen, dass es während der Spiele regnet, damit diese Party ins Wasser fällt“, sagte ein Einwohner von Rio.

Große Sicherheitsvorkehrungen auf den Straßen

Wäre da nicht das gigantische Sicherheitsaufgebot von 68.000 Polizisten und Soldaten sowie die ständig kreisenden Hubschrauber, Straßensperren und Kontrollen – man würde kaum ahnen, dass Rio nun bald eine der größten Sportveranstaltungen der Welt beherbergen wird.

Die politische und wirtschaftliche Krise der vergangenen Jahre hat den Blick der „Cariocas“, der Einwohner Rios, auf die Spiele dramatisch verändert. 2009, als die Stadt den Zuschlag bekam, feierte ganz Brasilien. „Heute sind die Leute nur noch frustriert, und man nimmt eine noch feindseligere Stimmung wahr als 2014 vor der Fußball-WM“, sagt der Politologe Mauricio Santoro von der Staatsuniversität Rio de Janeiro. Das spiegelt sich auch in einer Umfrage des Forschungsinstituts „Datafolha“ wider: Zwei Drittel der sonst so positiv gestimmten Brasilianer glauben, dass das Sportevent mehr Nach- als Vorteile bringen werde. Die Hälfte fürchtet sogar, dass die Spiele peinlich enden werden, weil sich Pro­bleme bei der Infrastruktur und der Sicherheit in Rio manifestieren würden.

Olympisches Dorf wird nicht rechtzeitig fertig

Zum Beweis hinken auch die Bauarbeiten dem Zeitplan hinterher. Das Organisationskomitee räumte jetzt ein, dass im Olympischen Dorf noch 15 Gebäude nicht fertig sind. Die australische Delegation hat bereits angekündigt, woanders zu übernachten. Andere Athleten beschweren sich über schmutzige Unterkünfte und verstopfte Toiletten.

Fürchteten Besucher und Bevölkerung Rios vor Monaten vor allem eine Infektion mit dem Zika-Virus, ist längst die Angst vor einem terroristischen Anschlag in den Vordergrund gerückt. Vor wenigen Tagen nahmen brasilianische Anti-Terror-Sicherheitskräfte elf mutmaßliche Verdächtige fest. Sie hätten angeblich einen Anschlag während der Spiele geplant, teilte die Regierung mit. Bei den Verdächtigen handele es sich um Brasilianer, die der Terrormiliz „Islamischer Staat“ (IS) die Treue geschworen hätten, sagte der brasilianische Justizminister Alexandre de Moraes. Nach seinen Angaben wurde die Gruppe weder logistisch noch finanziell vom IS unterstützt.

Festgenommene wollten Waffen im Internet kaufen

Einer der Festgenommenen habe unter anderem versucht, ein AK-47-Sturmgewehr im Internet zu kaufen. Daraus schließen die Behörden, dass die Gruppe einen niedrigen Organisationsgrad hat, da islamistische Gruppen in der Regel ihre Waffen nicht im Netz erwerben. Die brasilianische Regierung geht davon aus, dass es sich bei den Verdächtigen um Einzeltäter handelt – wie derjenige, der den Anschlag in Nizza am 14. Juli verübte. Nach dessen Anschlag erhöhte die Regierung noch einmal die Sicherheitsvorkehrungen für die Spiele.

Der nationale Geheimdienst ABIN hatte zuvor angeblich einen Propaganda-Kanal des „Islamischen Staates“ (IS) auf Portugiesisch identifiziert, der Botschaften über den Kurznachrichtendienst namens „Telegram“ versendet, der ähnlich wie WhatsApp funktioniert. Zudem hat nach Expertenabgaben eine Gruppe brasilianischer Dschihadisten der IS-Terrormiliz die Treue geschworen. Aus dieser Gruppe stammen die jetzt Festgenommenen. Bisher war Lateinamerika von einer islamistischen Bedrohung fast völlig verschont geblieben.

Zahl der Morde und Raubüberfälle ist gestiegen

Zu der möglichen Terrorbedrohung kommt, dass der Bundesstaat Rio de Janeiro pleite ist, nachdem die Einkünfte aus dem Ölverkauf dramatisch eingebrochen sind. Vergangenen Monat musste der Bundesstaat bei der Bundesregierung in Brasilia umgerechnet 800 Millionen Euro erbitten, um die Sicherheit in der Olympia-Stadt zu garantieren. Die Polizei hatte nicht einmal mehr genügend Geld, um die Streifenwagen zu betanken.

Die Bankrotterklärung kommt just in dem Moment, wo auch die gewöhnliche Kriminalität in der Metropole wieder zunimmt. „2016 ist ein schlimmes Jahr. Morde, Raubüberfälle und andere Verbrechen sind stark gestiegen“, sagt Ignacio Cano, Gewaltforscher an der Staatsuniversität von Rio de Janeiro.

Und die Politik? Die ist nach turbulenten Monaten um die Amtsenthebung von Präsidentin Dilma Rousseff in den Hintergrund getreten. Das Impeachment läuft, Ende August könnte eine endgültige Entscheidung im Senat fallen. Übergangspräsident Michel Temer ist zwar kaum beliebter als Rousseff. Aber deren Rückkehr wünschen sich gerade mal ein Drittel aller Brasilianer. Ihr konservativer Widersacher Temer, wird die Spiele am 5. August eröffnen. Vermutlich unter einem gellenden Pfeifkonzert.