Schwerin/Berlin. Sozialministerin Nahles hat einen Vorschlag für die Angleichung von Ost- und West-Renten vorgelegt. Die Union sperrt sich dagegen.

Sozialministerin Andrea Nahles (SPD) hat einen Plan vorgestellt, wie die noch immer unterschiedlich berechneten Renten in Ost- und Westdeutschland angeglichen werden können. Einen Gesetzentwurf dazu würde Nahles gern am 31. August vom Bundeskabinett beschließen lassen – kurz vor der Landtagswahl in Mecklenburg-Vorpommern. Die Union will schon deshalb auf Zeit spielen. Nahles selbst sagt, Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) sei bei der Renteneinheit ihre „Verbündete“.

Warum werden die Ost-Renten an das West-Niveau angeglichen?

Im Jahr 2020 ist die deutsche Einheit 30 Jahre her. Dann läuft der „Solidarpakt II“ aus, mit dem ostdeutsche Bundesländer Geld für den Aufbau Ost bekommen. Union und SPD haben im Koalitionsvertrag vereinbart, dass sie jetzt entscheiden wollen, ob 2020 auch die Teilung des Rentenrechts in Ost und West zu Ende sein soll.

Wie weit ist die Angleichung der Renten inzwischen vorangeschritten?

Wenn es um diese Frage geht, schauen alle immer auf den Rentenwert. Das ist der Euro-Betrag, mit dem ein Rentenpunkt multipliziert wird, um die Rente zu berechnen. Der Rentenwert beträgt aktuell im Westen 30,45 Euro. Im Osten sind es 28,66 Euro oder 94,1 Prozent des West-Werts. Zum 1. Juli waren die Renten noch einmal deutlich gestiegen, im Osten war der Anstieg deutlich stärker als im Westen. Aber die Experten im Sozialministerium meinen, dass auch eine gute Konjunktur und große Lohnsteigerungen nicht zu so starken Rentenerhöhungen führen, dass die Angleichung bis 2020 erreicht ist. Ministerin Nahles meint deshalb, dass sie nachhelfen muss.

Warum ist eine Angleichung der Renten so kompliziert?

In der öffentlichen Diskussion geht es nur um den niedrigeren Rentenwert im Osten. Tatsächlich unterscheidet sich das Rentenrecht in Ost und West noch in einem anderen Punkt: Weil ostdeutsche Löhne lange Zeit niedriger waren, wurden sie bei der Berechnung der Rentenpunkte extra aufgewertet. Das gilt noch immer. Mit anderen Worten: Ein ostdeutscher Arbeitnehmer bekommt bei gleich hohem Einkommen eine um acht Prozent höhere Rentenanwartschaft als ein Kollege im Westen. Ein Beispiel: Ein Arbeitnehmer verdient 36.267 Euro brutto im Jahr. Arbeitet er in Stuttgart, bekommt er dafür exakt einen Rentenpunkt. Arbeitet er in Dresden, wird sein Gehalt auf 41.631 Euro aufgewertet und er bekommt 1,1479 Rentenpunkte.

Was schlägt Sozialministerin Nahles nun konkret vor?

Sie will in zwei Schritten vorgehen. Erstens: Bis zum Januar 2018 sollen die Unterschiede, die es bei den Rechengrößen gibt, halbiert werden. Die Differenz beim Rentenwert wird also geringer. Auch der Faktor, mit dem die Ost-Löhne aufgewertet werden, soll kleiner werden. Auch die Einkommenswerte, ab denen der Höchstbeitrag an die Rentenversicherung gezahlt wird, sollen sich angleichen. Zum 1. Januar 2020 soll es den zweiten Schritt geben. Dann soll das Rentenrecht identisch sein. Es würde einen Rentenwert und keine Aufwertung von Ost-Löhnen mehr geben. Die Aufwertung der Löhne, die bisher stattgefunden hat, soll auf dem Rentenkonto erhalten bleiben.

Wer würde von diesem Vorschlag profitieren?

Klare Gewinner wären die vier Millionen Ostdeutschen, die schon in Rente sind. Ihre Altersbezüge würden in den Jahren bis 2020 kräftig steigen.

Gäbe es auch Verlierer?

Ja, wobei der Begriff Verlierer in diesem Zusammenhang relativ ist. Niemand würde direkt Geld verlieren. Richtig ist aber: Arbeitnehmer in Ostdeutschland würden sich schlechter stellen als heute. Ihre Löhne würden für die Rentenberechnung nicht mehr aufgewertet. Die spätere Rente fiele geringer aus. Andererseits wird in vielen Branchen heute in Ost und West gleich gut verdient. In solchen Fällen würden Ost-Arbeitnehmer einen Vorteil verlieren, den West-Kollegen nie hatten.

Was würde die Angleichung kosten?

Jede der außerordentlichen Rentenerhöhungen, mit denen Nahles die Rentenlücke schließen will, kostet Milliardenbeträge. Die Schritte 2018 und 2019 sollen je 1,8 Milliarden Euro kosten, ab 2020 würden dann pro Jahr 3,9 Milliarden Euro anfallen. Bis 2020 kostet das Projekt Renteneinheit also 7,5 Milliarden Euro. Nahles will das Geld aus dem Bundeshaushalt nehmen, in der Planung von Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) ist das Geld aber bisher nicht vorgesehen. In seinem Ministerium will man sich die Pläne „erst einmal ganz genau anschauen“.

Wie sind die Reaktionen?

Der Koalitionspartner Union ist gegen Nahles’ Vorschlag, blieb am Donnerstag aber auffallend still. Die CDU hat Sorge, dass künftige ostdeutsche Rentner schlechter gestellt werden. Die Linke lehnt die Idee auch ab, sie befürchtet, dass schlecht verdienenden Ost-Arbeitnehmern Altersarmut droht. Aus ähnlichem Grund sind auch die Gewerkschaften skeptisch, ihnen geht der Vorschlag nicht weit genug. Die Arbeitgeber kritisieren, die Rentenunterschiede zwischen Ost und West würden weiter bestehen. Der Vorschlag sei auch zu teuer.