Würzburg. Bisher machten die Ochsenfurter gute Erfahrungen mit Flüchtlingen, die Axt-Attacke eines Afghanen verunsichert sie. Ein Besuch vor Ort.

Am Dienstag fährt der Regionalzug zwischen Würzburg und Ochsenfurt mit Polizeischutz. Bewaffnete Beamte gehen durch den kurzen Zug. „Reine Routine“, sagen diese auf Nachfrage.

Stefan S. steigt am Nachmittag aus der Regionalbahn von Würzburg in die 8500-Seelen-Gemeinde Ochsenfurt in Unterfranken. Er nimmt den Zug fast jeden Tag. „Gestern Abend war ich noch beim Boxen in Würzburg“, sagt er, „wie jeden Montag.“ Als er auf dem Rückweg war, fühlte er sich müde und wollte den Zug nehmen. Er entschied sich dann doch dafür, die 18 Kilometer mit dem Fahrrad zu fahren. Der 16-Jährige sagt: „Hätte ich den Zug genommen, wäre ich jetzt vielleicht tot.“

Seit zwei Wochen lebte Riaz A. bei einer Pflegefamilie

Am Abend zuvor saß Riaz A. in diesem RB 58130, ein 17 Jahre alter afghanischer Flüchtling, der am 30. Juni 2015 nach Deutschland kam. Vor zwei Wochen war er bei einer Pflegefamilie eingezogen. Der hatte er am Montag gesagt, er wollte noch einmal zum Fahrradladen. Um kurz nach 21 Uhr ging er in eine Toilette der Regionalbahn, holte seine Waffen aus dem Rucksack: ein Messer und eine Axt.

Dann betrat er ein Abteil und schlug auf Fahrgäste ein, traf Körper und Köpfe. Vier Touristen aus Hongkong wurden zum Teil schwer verletzt. Bilder aus der Nacht zeigen den Waggon, Blut auf dem Boden. Ein Fahrgast zog die Notbremse, eine Mitreisende rief um 21.13 Uhr die Polizei. Auf der Notrufaufnahme ist deutlich zu hören, wie jemand im Hintergrund „Allahu Akbar“ schreit, arabisch für „Gott ist groß“.

Axt-Attentäter schlägt Spaziergängerin auf den Kopf

Was dann geschah, rekonstruiert Oberstaatsanwalt Erik Ohlenschlager aus Bamberg am Dienstag bei einer Pressekonferenz in Würzburg: „Entlang der Mainwiesen traf er auf eine Frau, die mit ihrer Freundin einen Hund ausführte“, sagt er. „Er griff sie von hinten an und schlug ihr mehrfach auf den Kopf.“ Auch diese Frau wurde lebensgefährlich verletzt. Er soll dabei gerufen haben: „Ich mach dich fertig, du Schlampe.“

Weil eine Sondereinheit der Polizei wegen eines Drogeneinsatzes in der Gegend war, konnten einige Beamte – darunter ein Hubschrauberkommando – sofort in die Fahndung nach dem Täter einscheren. Zwei Beamte stellen ihn schließlich in einem Gebüsch in der Nähe des Mains.

„Aus der Entfernung von ungefähr einem bis zwei Metern“, sagt Oberstaatsanwalt Bardo Backert aus Würzburg, „kam der Beschuldigte auf einen der Beamten zu.“ Der handelte demnach in unmittelbarer Notwehr, mindestens vier Schüsse fielen, einer traf den Flüchtling in die Stirn. Bardo Backert verteidigte die Schussabgabe des Kollegen, sicherte aber eine „übliche“ genaue Untersuchung des Vorfalls zu.

Flüchtlinge konnten auffällig gut Deutsch

Bisher hatten die Menschen in Ochsenfurt vor allem gute Erfahrungen mit Flüchtlingen gemacht. „Man bekommt die eigentlich kaum mit“, sagt Andreas Stepien, dem eines der Restaurants auf dem Hauptmarkt gehört. „Und wenn, dann nur, weil auffällt, wie gut Deutsch sie schon können oder dass sie Fahrräder geschenkt bekommen.“

Nur ein Taxifahrer sagt, dass einige seiner Kollegen aus der Gegend sich derzeit weigerten, Flüchtlinge mitzunehmen. „Vor allem, weil sie Angst haben, dass sie plötzlich durchdrehen.“ Bisher hat keiner solche Erfahrungen gemacht. „Aber das Attentat wird das hier in der Gegend nicht entspannen, eher im Gegenteil.“

Der 17-Jährige soll einen Abschiedsbrief an seinen Vater hinterlassen haben, sagt Lothar Köhler vom bayerischen LKA. „Dieser Text beinhaltet eine gewisse Klage, dass er von Ungläubigen umgeben sei“, sagt er. Eine Textpassage zitiert er wörtlich: „Und jetzt bete für mich, dass ich mich an diesen Ungläubigen rächen kann und dass ich in den Himmel komme.“

Es ist ein Hinweis darauf, dass er sich wirklich radikalisiert habe. Zudem soll zwei Tage vor dem Attentat ein guter Freund des Flüchtlings in Afghanistan gestorben sein. Das habe ihn stark betroffen, sagt Köhler, er habe viel telefoniert. In seinem Zimmer fand die Polizei zudem eine selbstgemalte Flagge des „Islamischen Staates“ (IS). Experten bezweifeln mittlerweile jedoch, dass der 17-Jährige tatsächlich aus Afghanistan stammt. Der Akzent, in dem der Jugendlich in einem Bekkenervideo spricht, legt nahe, dass aus Pakistan stamme. Dies hatte heute.de berichtet.

Angebliches Bekennervideo von dem Angreifer im Internet

Ein weiterer Hinweis auf diese Radikalisierung tauchte am Dienstag im Internet auf. Das IS-Sprachrohr Amak stellte ein Video online, das den Angreifer vor dem Attentat zeigen soll. Nachdem die Behörden das Video untersucht hatten, stand am Abend fest: Das Video ist echt. „Der Mann auf dem Video ist der Täter von Würzburg“, sagte ein Sprecher des bayerischen Innenministers Joachim Herrmann (CSU). „Ich bin ein Soldat des ‚Islamischen Staates‘ und beginne eine heilige Operation in Deutschland“, sagte der Mann mit einem Messer in der Hand in dem Video.

Weiter erklärt er auf Paschtu: „Die Zeiten sind vorbei, in denen ihr in unsere Länder gekommen seid, unsere Frauen und Kinder getötet habt und euch keine Fragen gestellt wurden. So Gott will, werdet ihr in jeder Straße, in jedem Dorf, in jeder Stadt und auf jedem Flughafen angegriffen. Ihr könnt sehen, dass ich in eurem Land gelebt habe und in eurem Haus. So Gott will, habe ich diesen Plan in eurem eigenen Haus gemacht. Und so Gott will, werde ich euch in eurem eigenen Haus abschlachten.“

Innenminister de Maizière zeigt sich schockiert

Die Terrororganisation IS beansprucht die Axt-Attacke für sich. Bei dem Angreifer handele es sich um einen IS-Kämpfer, teilte Amak mit. Er habe auf Aufrufe reagiert, die Länder der internationalen Koalition anzugreifen, die den IS bekämpfen.

Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) zeigte sich schockiert von dem Axt-Angriff. Er verurteilte die Tat als „sinnlosen Akt wahlloser Gewaltausübung“. Die Sicherheitsbehörden in Bund und Ländern seien sehr wachsam, teilte de Maizière am Dienstag mit, „und wir werden alles in unserer Macht Stehende tun, um solche Taten zu verhindern“.

Solche Sätze beruhigen Rentner Norbert K. nicht, der in Ochsenfurt neben einem Flüchtlingsheim wohnt. „Der Krieg hat ja schon begonnen, bisher immer nur in Frankreich“, sagt er. „Bis vor kurzem wusste keiner, wie schön es hier in Ochsenfurt ist. Jetzt kennen alle Ochsenfurt als Kriegsgeburtsort.“ Das sei erst der Anfang. „Und wir können nichts tun.“