Berlin. Erdogan ist auf dem Gipfel seiner Macht. Doch wer ist dieser Mann, der sich anschickt, die Türkei zu einem Ein-Mann-Staat zu machen?

Der atemberaubende Aufstieg des Recep Tayyip Erdogan findet sich in jedem Porträt des heutigen Staatspräsidenten: Es ist die Geschichte des kleinen Jungen, der in den 60er-Jahren auf den Straßen des heruntergekommenen Istanbuler Hafenviertels Kasimpasa Sesamkringel und Limonade verkaufte, um sich so das Schulgeld zu verdienen; des Jugendlichen, der gern und gut Fußball spielte und dem sie deshalb den Spitznamen „Imam Beckenbauer“ verpassten; des Sohnes eines armen Seemanns, der es auf die Universität schaffte und dort Wirtschaft studierte.

Der heutige türkische Präsident, so schrieb die „FAZ“ in diesen Tagen nicht ohne Bewunderung, sei „eine Kämpfernatur und beherrscht das Faustrecht der Straße“. Seine Gegner bekommen dies nach dem gescheiterten Putsch gegen Erdogan schmerzlich zu spüren.

Er nannte sich „Prediger von Istanbul“

Dabei schien der Aufstieg des Politikers Erdogan nach dem Studium schon schnell wieder beendet zu sein. Auf der Uni schloss er sich der fundamentalistischen Nationalen Heilspartei des Islamistenführers Necmettin Erbakan an. Erbakan war erster Ministerpräsident der Türkei, er gründete die religiöse Bewegung Milli Görüs. Erbakan verhalf Erdogan auch zu einem Posten in der Stadtverwaltung, wo er schnell Karriere machte. 1994 wurde Erdogan zum Istanbuler Bürgermeister gewählt. „Wenn es so etwas wie ein Macht-Gen gibt – Erdogan hat es“, schrieb der „Spiegel“. Doch für den „Prediger von Istanbul“, wie Erdogan, der in Istanbul getrennte Schulbusse für Jungen und Mädchen einführen wollte, sich selbst damals nannte, folgte ein herber Rückschlag.

1998 musste Erdogan den Chefposten im Istanbuler Rathaus quittieren, er wurde wegen islamistischer Hetze zu zehn Monaten Haft verurteilt und mit einem lebenslangen Politikverbot belegt, weil er aus einem religiösen Gedicht zitiert hatte. Darin heißt es: „Die Moscheen sind unsere Kasernen, die Minarette unsere Bajonette, die Kuppeln unsere Helme und die Gläubigen unsere Soldaten.“

Die Zeit im Gefängnis machte Erdogan aber offenbar nur noch härter und entschlossener. Er kehrte mit Wucht in die Politik zurück.

Er pflegt ein klares Freund-Feind-Denken

2001 gründete Erdogan, dem Politikverbot zum Trotz, die islamisch-konservative Gerechtigkeits- und Entwicklungspartei (AKP) und baute sie rasch zu seiner Machtbasis aus. Schon im Jahr darauf fuhr die AKP einen haushohen Wahlsieg ein. Im Parlament hob die Partei das Politikverbot ihres Chefs offiziell auf, im März 2003 wählten ihn die Abgeordneten zum Ministerpräsidenten. Bei der Wahl 2007 holte Erdogans AKP die absolute Mehrheit. Er modernisierte Verwaltung, Infrastruktur und Städtebau in der Türkei und schuf sich damit viele Anhänger. Sein Motto: „Versprich einem Türken eine Autobahn, eine Shoppingmall, einen Flughafen, und er wählt dich.“ Heute ist er Staatspräsident und nach dem Putsch auf dem Weg zur Ein-Mann-Regierung in der Türkei.

Recep Tayyip Erdogan, da sind sich die Beobachter einig, ist von einem strikten Freund-Feind-Denken geprägt: Wer nicht für ihn ist, ist gegen ihn. Kritik an seiner Person macht er zu Kritik an der Türkei. Der Staat – das ist er. Selbst vorsichtigen Widerspruch unterdrückt Erdogan, er überzieht Kritiker mit Klagen und Strafverfahren. Missliebige Journalisten werden eingeschüchtert oder abgeurteilt. Wenn es Erdogan passt, lässt er kurzerhand Twitter in der Türkei lahmlegen.

Erdogan sieht sich noch nicht am Ziel

Erdogan liebt die Provokation, er geht keiner Auseinandersetzung aus dem Weg, wenn sie ihm nützt bei der Festigung seiner Macht. Und die von ihm nach dem gescheiterten Putsch verkündeten „Säuberungen“ in Militär, Polizei, Politik und Verwaltungen, in deren Rahmen schon Tausende ihren Posten verloren oder gar inhaftiert wurden, deuten darauf hin, dass Erdogan, der einstige Limonadenverkäufer von Kasimpasa, noch mehr Macht will.