Cleveland. Der dreifache Polizistenmörder von Baton Rouge soll aus Rache gehandelt haben. Er selbst sieht sich „der Gerechtigkeit verpflichtet“.

Im Internet schwang er unter dem Pseudonym „Cosmo Setepentra“ teils militante, teils wirre Reden und rief nach den jüngsten tödlichen Konfrontationen zwischen Polizei und Afro-Amerikanern zu Selbstjustiz und Revolution auf. Im echten Leben ging Gavin Eugene Long ausgerechnet an seinem 29. Geburtstag mit fatalem Beispiel voran. Der ehemalige Datennetzwerk-Experte der Militär-Elite-Einheit Marines, der vor acht Jahren im Irak stationiert war, ist der dreifache Polizistenmörder von Baton Rouge.

Aus seinen Einträgen in sozialen Netzwerken schließen die Ermittler vorläufig, dass der aus dem 1200 Kilometer entfernt liegenden Kansas City stammende Schwarze aus Rache-Motiven zum Sturmgewehr griff. Am Sonntagmorgen hatte er auf einer belebten Straße im Osten der 230.000-Einwohner-Stadt im Süden der USA die Polizisten Montrell Jackson (32), Matthew Gerald (41) und Brad Garafola (45) im Laufe eines Feuergefecht erschossen

Sie waren durch einen Notruf alarmiert worden. An Ort und Stelle eingetroffen, ganz in der Nähe der Polizeihauptwache, empfing sie ein Kugelhagel, schreibt die Lokalzeitung „The Advocate“. Drei weitere Beamte liegen im Krankenhaus. Einer von ihnen, ein 41-jähriger Familienvater, kämpft derzeit auf der Intensivstation um sein Leben. Long hatte es nach Angaben der Behörden gezielt auf Sicherheitskräfte abgesehen. Sein Fokus habe auf Polizisten gelegen, sagte der Polizeichef von Baton Rouge, Mike Edmonson, am Montag vor US-Medien. Sein ganzes Handeln sei darauf ausgerichtet gewesen.

Offenbar Dallas-Schütze als Vorbild

Nachdem am 5. Juli der Afro-Amerikaner Alton Sterling in Baton Rouge bei einem nächtlichen Polizeieinsatz vor einem Supermarkt aus nächster Nähe von zwei Beamten getötet und dabei von Passanten gefilmt worden war, schrieb der sich selbst als „spiritueller Berater“, „Diätlehrer“ und „Lebenstrainer“ bezeichnende Long auf Twitter und Facebook: „Wann erhebt Ihr Euch endlich, damit Eure Leute nicht wie die Ureinwohner ausgerottet werden?“. Den Weißen gehe es nur um „Geld und Blut“. Gewalt sei nicht „die“ Lösung – aber „eine“. Besser jedenfalls als folgenloser Protest. Erratisch nahm Long sein Ende auf Twitter vorweg: „Nur weil du jeden Morgen aufwachst, heißt das nicht, dass du lebst. Und nur weil du deinen physischen Körper abwirfst, heißt das nicht, dass du tot bist.“

Gavin Long, der nach Angaben von Polizeichef Mike Edmonson allein und, anders als zunächst vermutet, ohne Hintermänner handelte, hinterließ vor seinem Feldzug, für den er sich maskierte und eine Körperpanzerung anlegte, die Nachricht, dass er keiner politischen Gruppe oder einem Terrornetzwerk angehöre. „Ich bin allein dem Geist der Gerechtigkeit verpflichtet.“

Aus Internet-Einträgen schließen die Fahnder, dass der Täter sich letzte Inspiration für seine Bluttat vor kurzem in Dallas geholt haben könnte. Long war vor Ort, nachdem der Armee-Veteran Micah Johnson dort am 7. Juli aus dem Hinterhalt bei einer Protestdemonstration fünf Polizisten erschossen hatte; ebenfalls aus Vergeltungsmotiven für tödliche Gewaltanwendung der Sicherheitskräfte gegen Afro-Amerikaner. Ob Gavin Long psychisch krank war und mit posttraumatischen Belastungsstörungen aus dem Irak zurückgekehrt war, ist bisher nicht bekannt. Seine von ihm geschiedene Frau soll in Kürze vernommen werden.

Obama warnt vor aufhetzender Rhetorik

In Baton Rouge und weit darüber hinaus haben die jüngsten Polizistenmorde abermals Schockwellen ausgelöst. Das Verhältnis zwischen Polizei und Bürgerschaft ist zum Zerreißen angespannt. Jede Seite verdächtigt die andere latent einer Denkzettel-Haltung. Das Vertrauen erodiert im Eiltempo. Die Schwarzen-Bewegung „Black Lives Matter“, Katalysator der Proteste in vielen Städten, kommt unter Legitimationsdruck. Fördert sie indirekt die Gewalt gegen das Gewaltmonopol des Staates?

DeRay Mckesson, einer ihrer Sprecher, weist das weit von sich. „Unsere Bewegung begann als Aufruf, endlich die Gewalt in diesem Land zu beenden. Der Aufruf bleibt weiter gültig.“ Dagegen steht: „Zum zweiten Mal hintereinander haben Afro-Amerikaner mit militärischer Ausbildung das Gesetz in die eigene Hand genommen und Cops getötet“, schrieb ein Leser der Washington Post, „kommt da was völlig ins Rutschen?“. Präsident Obama, der bereits nach Dallas eindringliche Worte fand und sich vor die Polizei stellte, sprach von einem „feigen und verwerflichen Akt“. Schnelle Rezepte gegen die Gewaltexplosion versagte er sich.

Mit Blick auf den am Montag beginnenden Präsidentschafts-Parteitag der Republikaner in Cleveland warnte er vor „aufhetzender Rhetorik“, mit der „politisch gepunktet werden soll“. Donald Trump, der am Dienstag offiziell die Nominierung für die Wahl am 8. November bekommen soll, hatte „die schwache Führung unsere Landes“ für die Tragödie in Baton Rouge verantwortlich gemacht. Die ganze Welt schaue zu, wie Amerika sich dem Abgrund nähere. Unter seiner Führung werde in Amerika wieder „Recht und Gesetz“ herrschen. Wie Trump der Waffengewalt Herr werden will, wie er das vielerorts zerrüttete Vertrauensverhältnis zwischen Polizei und gesellschaftlichen Minderheiten kitten will, sagte er nicht.

Opfer appellierte vor seinem Tod auf Facebook

Seine Rivalin bei den Demokraten, Hillary Clinton, unterließ Schuldzuweisungen. „Wir dürfen uns nicht gegenseitig den Rücken zuwenden. Wir müssen der Gewalt gemeinsam eine Absage erteilen und unsere Gemeinden stärken“, sagte sie.

Noch stärkere Reaktionen löste ein Facebook-Eintrag aus, den eines der Opfer von Baton Rouge vor einigen Tagen auf Facebook hinterließ. Er sei nach den jüngsten tödlichen Auseinandersetzungen zwischen Polizei und Bürgern „körperlich und emotional erschöpft“, schrieb Officer Montrell Jackson. „Ich liebe diese Stadt, aber ich weiß nicht, ob diese Stadt mich liebt.“ An seine Mitmenschen appellierte er: „Bitte lasst den Hass nicht eure Herzen infizieren.“ Zehn Tage später wurde er Opfer des Hasses von Gavin Eugene Long. Montrell Jackson, ein Afro-Amerikaner, hinterlässt Frau und Kind. Es ist vier Monate alt.