Berlin. Die Anonymität online hat ihre Grenzen: Bundesweit klingelten Fahnder am Mittwoch bei 60 Verdächtigen wegen Hasskriminalität im Netz.

Was im Internet geschrieben wird, kann im realen Leben ernste Folgen haben. Eine Liste von Stiftung Warentest zeigte neulich, dass Gerichte teilweise hohe Geldstrafen verhängen für Hasskommentare. Ein Nutzer, der „Merkel muss öffentlich gesteinigt werden“ im Internet schreibt, musste beispielsweise 2000 Euro zahlen. Wer Juden „selbst Schuld“ am Holocaust gibt, zahlt 5000 Euro. Wer Asylbewerbern eine „Handgranate spenden“ will, kann wegen Volksverhetzung bis zu 7500 Euro bezahlen.

Wie ernst der Polizei die Verfolgung dieses Straftatbestands ist, wurde am Mittwoch deutlich: Bundesweit wurden erstmals in einem Einsatz 60 Wohnungen von Beschuldigten durchsucht, denen „Hasskriminalität im Internet“ vorgeworfen wird. Ziel sei, dem stark zunehmenden „Verbalradikalismus“ und Straftaten im Netz entgegenzutreten, teilte das Bundeskriminalamt (BKA) in Wiesbaden mit. Insgesamt haben 25 unterschiedliche Polizeidienststellen in 14 Bundesländern Wohnungen durchsucht. Die meisten waren Mitglieder in einer Facebook-Gruppe, die durch Hassparolen in Bezug auf Flüchtlinge aufgefallen war oder andere fremdenfeindliche Inhalte verbreitet hat.

BKA-Präsident Holger Münch reagierte so auf die gestiegenen Fallzahlen politisch rechts motivierter Hasskriminalität im Internet – und auf die Radikalisierung von Sprache generell. „Wir müssen deshalb strafbare Inhalte im Netz konsequent verfolgen“, sagte er. Auch Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) begrüßte die Aktion. „Das entschlossene Vorgehen der Behörden sollte jedem zu denken geben, bevor er bei Facebook in die Tasten haut“, sagte der Minister. „Das Internet ist kein rechtsfreier Raum.“

Allein in Berlin wurden elf Wohnungen durchsucht

Die bundesweite Razzia wurde koordiniert von der Staatsanwaltschaft Kempten in Bayern. Deren Sprecherin Teresa Rist sagt, sie seien zuständig, weil zwei Administratoren der Facebook-Seite in dieser Gegend wohnen. In Berlin laufen Ermittlungen gegen elf Männer, die jeweils Hassparolen gegen Flüchtlinge über soziale Netzwerke verbreitet haben sollen. Den Beschuldigten wird vorgeworfen, den Holocaust geleugnet zu haben, den Nationalsozialismus verherrlicht und Hass auf Flüchtlinge und Politiker geschürt zu haben. Die Berliner Männer sind zwischen 36 und 62 Jahre alt, hieß es von der Berliner Polizei. Die Ermittler stellten unter anderem Smartphones, Notebooks, Computer und Speichermedien sicher. Die Berliner Polizei nutzte das Netzwerk „Twitter“, um von der Razzia zu berichten. Sie twitterte: „In Berlin schauen 79 Kollegen „nach dem Rechten.“

Das Innenministerium in Dresden teilte mit, dass sich die Razzia in Sachsen gegen acht Verdächtige im Alter von 22 bis 46 Jahren richtete. Die fünf Männer und drei Frauen sollen demnach einer Facebook-Gruppe angehören. Ihr Name: „Großdeutschland“. Sie werden der Volksverhetzung und Verwendung verfassungswidriger Kennzeichen beschuldigt. In Nordrhein-Westfalen fanden Durchsuchungen in Moers, Marl und Gladbeck statt. Nur in Schleswig-Holstein und im Saarland gab es keine Einsätze.

Facebook „bevorzugtes Instrument für Hasspropaganda“

Das Unternehmen Facebook verspricht derweil, gegen Hasskommentare mit eigenen Mitteln vorzugehen – wie das gehen soll, bleibt aber im Dunklen. Mit den Regeln des Netzwerks lässt sich der Hetze gegen Flüchtlinge nur schwer beikommen: Das Unternehmen löscht nur, was gegen deren „Richtlinien“ verstößt, also Hass gegen eine Ethnie, sexuelle Orientierung oder ein Geschlecht schürt. Die Kategorie Flüchtlinge werde nicht aufgeführt. Auch wie genau das Löschteam arbeite, sei bisher unbekannt. Erst am vergangenen Wochenende bekam das Unternehmen den Negativpreis „Verschlossene Auster“ von der Journalismusvereinigung Netzwerk Recherche. In seiner Laudatio warf der Datenschutzexperte Thilo Weichert dem sozialen Netzwerk Intransparenz vor. „Facebook ist das bevorzugte Instrument für Hasspropaganda geblieben“, sagte Weichert.