Berlin. Mit Registerkassen können Restaurants ihre Bilanzen fälschen und Steuern sparen. Den Finanzämtern fehlen dadurch Milliarden von Euro.

Im Auto des Restaurantbesitzers wurden die niedersächsischen Steuerfahnder fündig: Im Aschenbecher lag dort ein Kellnerschlüssel, also eine Art elektronischer Stift, den man in die Kasse steckt, bevor die Cola oder der Teller Nudeln verbucht wird. Dieser Schlüssel war besonders: Im Unterschied zu denen, über die die Kellner ihre Bestellungen verbuchen, tauchten die Umsätze, die über den Chefschlüssel liefen, nicht in der Kasse auf. Sie wurden nur auf dem Schlüssel gespeichert und blieben so unsichtbar.

Am Ende der Steuerprüfung war klar: Der Inhaber des italienischen Restaurants hatte nicht 600.000 Euro Umsatz gemacht, sondern 800.000 Euro. Hätte er die unterschlagene Summe versteuert, wären 38.000 Euro Umsatzsteuer zusätzlich fällig geworden.

Viele Gastronomen müssen in neue Kassen investieren

Geht es nach Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU), sollen solche Fälle nicht mehr vorkommen. Der Minister will Manipulationen an Regis­trierkassen erschweren und härter bestrafen. Am Mittwoch soll das Kabinett den Gesetzentwurf beschließen. „Wer gegen das neue Gesetz verstößt, muss empfindliche Geldbußen bezahlen“, sagt Schäubles Staatssekretär Michael Meister (CDU).

„Harte Kontrollen durch die Finanzämter und zertifizierte Sicherheitstechnologien“, so Meister, sollen helfen, die Täter zu entdecken. Für viele Geschäftsleute bedeutet das: Sie müssen sich eine neue Registrierkasse kaufen.

Steuerfahnder weisen seit Jahren darauf hin, dass Kassen in großem Stil manipuliert werden, um Umsatzsteuer zu hinterziehen. „Das Problem hat sich in den vergangenen Jahren eher vergrößert“, sagt Martin Thünemann, Steuerfahnder in Oldenburg. Seine Kollegen waren es, die den Chefkellnerschlüssel beim Edelitaliener entdeckten. „Wir müssen inzwischen die Geschäftsleute suchen, die ihre Kasse ordentlich führen“, sagt er.

Einnahmen werden am Ende des Tages wieder gelöscht

Vor Kurzem war Thünemann bei der SPD-Fraktion im Bundestag und hat berichtet, wie Registrierkassen manipuliert werden. Die Methode Kellnerschlüssel gehört dabei eher zum klassischen Betrugsmuster. Auch Kassen, bei denen ein „Trainingskellner“ Umsätze verbucht, die nach Feierabend wieder gelöscht werden können, sind den Steuerfahndern vertraut.

Kopfzerbrechen bereitet ihnen, dass Geschäftsleute immer öfter geheime Software verwenden, die auf Wunsch 20 oder auch 50 Prozent der Umsätze in der Kasse verschwinden lässt – und das ohne Spuren: Auch die Lagerbestände werden angepasst. „Besteuerung auf Zuruf“ sagt Fahnder Thünemann dazu.

Seiner Erfahrung nach kommen die Manipulationen in allen Bereichen vor, in denen bar bezahlt wird: beim Bäcker, beim Fleischer, beim Friseur, sogar in der Apotheke. Vor allem aber in Restaurants und bei Taxifahrern: „Diese beiden Branchen sind komplett durchseucht“, bilanziert Thünemann.

Steuerhinterzieher geben nicht alle Umsätze beim Finanzamt an

Der Verband der Kassen- und Abrechnungstechnik berichtet, dass faktisch niemand mehr eine Registrierkasse kauft, ohne nach Manipulationsmöglichkeiten zu fragen. „Der wirtschaftliche Erfolg eines Geschäfts kommt doch nicht dadurch, dass man Steuern hinterzieht“, schüttelt Verbandschef Roland Ketel den Kopf.

Und doch ist es genau so: Viele Steuerhinterzieher, gerade in der Gas­tronomie, halten sich nur deshalb wirtschaftlich über Wasser, weil sie nicht alle Umsätze beim Finanzamt angeben. Deshalb bleibt es nach Erfahrung von Experten in der Regel nicht nur bei der Steuerhinterziehung. Oft werden mit den abgezweigten Geldern noch schwarz arbeitende Mitarbeiter bezahlt.

Wer 200.000 Euro an der Kasse vorbei einnimmt, verursacht bis zu 150.000 Euro Schaden bei Fiskus und Sozialversicherungen, schätzen Experten.

Geschätzter Schaden: zehn Milliarden Euro pro Jahr

Wie groß der Schaden durch die Manipulationen insgesamt ist, ist umstritten. NRW-Finanzminister Norbert Walter-Borjans (SPD), der das Thema öffentlichkeitswirksam vorantreibt, spricht von zehn Milliarden Euro pro Jahr. Die Zahl basiert auf einer Untersuchung in Kanada. Das Bundesfinanzministerium will sie nicht übernehmen: „Wir wissen, dass Aufzeichnungen elektronischer Kassen manipuliert werden, um Steuern zu hinterziehen“, sagt Staatssekretär Meister nur.

Schäubles Gesetz sieht nun vor, dass alle Kassendaten lückenlos protokolliert und nicht mehr verändert werden können. Das bedeutet, dass etwa zwei Millionen Kassen bis 2019 umgestellt werden müssen – die Wirtschaft kostet das etwa eine halbe Milliarde Euro. Wer manipuliert, soll 25.000 Euro Strafe zahlen. Wichtigste Neuerung ist aber, dass das Finanzamt sich unangekündigt die Kasse zeigen lassen kann. Steuerfahnder finden das grundsätzlich gut. Aber: „Ohne neues Personal steht dieses Kontrollinstrument nur auf dem Papier“, sagt Thomas Eigenthaler von der Steuergewerkschaft. „Die Länder müssen endlich mehr Steuerprüfer einstellen.“

Die SPD wirft Schäuble vor, das Problem halbherzig anzugehen und kündigt Änderungen an: „Wir brauchen eine Pflicht für jeden Ladenbesitzer, eine Kasse zu haben. Er muss auch verpflichtet werden, dem Kunden einen Beleg zu geben“, sagt SPD-Finanzpolitiker Andreas Schwarz. „So, wie der Entwurf jetzt ist, bleibt er nicht.“