Berlin. Ministerpräsident Sellering hat vor der Landtagswahl einen Rat: Man solle sich von den Rechtspopulisten nicht provozieren lassen.

Bundesratssitzungen, Parteitreffen – die 200 Kilometer von Schwerin nach Berlin sind für Erwin Sellering eine gewohnte Strecke. Dieses Mal, es sind noch genau acht Wochen bis zur Landtagswahl, besucht er auch unsere Berliner Redaktion. Die Gelassenheit, die der SPD-Politiker ausstrahlt, kann sich nicht aus Umfragen speisen.

Die nächsten Landtagswahlen finden in Ihrem Bundesland statt – und die AfD könnte stärkste Kraft werden. Packen Sie schon die Kisten, Herr Sellering?

Erwin Sellering: Ich bin davon überzeugt, dass die SPD am 4. September vorn liegen wird. Je näher die Landtagswahl rückt, desto mehr wird den Menschen bewusst: Es geht um die zukünftige Entwicklung des Landes – und nicht um einen Denkzettel für den Bund.

Die jüngste Umfrage sagt einen regelrechten Einbruch für die SPD voraus – minus 14 Prozentpunkte …

Sellering: Die SPD stellt seit 18 Jahren den Ministerpräsidenten. Wir sind wirtschaftlich gut vorankommen, haben die Zahl der Arbeitslosen halbiert und die Landesausgaben für die Kitas verdoppelt – ohne neue Schulden aufzunehmen. Unser Ziel ist es, wieder stärkste Partei zu werden, um diesen Kurs fortzusetzen. An die 35,6 Prozent von 2011 wird die SPD dieses Mal sicherlich nicht herankommen. Das ist utopisch in Zeiten, in denen wir mit über zehn Prozent für die AfD rechnen müssen. Aber ich bin sehr zuversichtlich, dass wir unser Wahlziel erreichen werden.

Warum sind die Rechtspopulisten gerade bei Ihnen so stark geworden? Mecklenburg-Vorpommern hat nicht besonders viele Flüchtlinge aufgenommen...

Sellering: Das betrifft den gesamten Osten. Es fällt auf, dass die AfD in den ostdeutschen Ländern stärker ist als in den westdeutschen. Die Menschen hier haben einen tiefgreifenden Umbruch hinter sich. Viele haben das Gefühl, dass in der Flüchtlingskrise wieder infrage gestellt wird, was sie nach der Wende mühsam aufgebaut haben. Das bereitet ihnen große Sorgen. Und diese Sorgen sollten wir ernst nehmen. Ich warne sehr davor, in der Flüchtlingsfrage so zu tun, als gebe es auf der einen Seite die Guten, die durchblicken, und auf der anderen Seite nur Rechtsextreme oder Dummköpfe. Ich möchte mich in diesem Wahlkampf auch gar nicht so sehr mit der AfD auseinandersetzen, sondern einfach den Bürgern sagen: Verschenkt eure Stimme nicht an diejenigen, die aggressiv alles kritisieren, aber keine Verantwortung übernehmen wollen.

Halten Sie das Ignorieren des politischen Gegners für eine Erfolgsstrategie?

Sellering: Die AfD setzt auf Frust, Aggression und persönliche Angriffe als Politikstil. Dem müssen wir klar und kurz entgegentreten. Bei der Wahl geht es um die Zukunft unseres Landes. Und da haben wir die besseren Konzepte.

Sie haben sich wie kaum ein zweiter für einen neuen Anlauf zum Verbot der rechtsextremistischen NPD eingesetzt. Können Sie sich auch ein AfD-Verbotsverfahren vorstellen?

Sellering: Das ist kein Thema. Die AfD ist nicht gleichzusetzen mit der NPD. Die AfD muss sich aber klar abgrenzen von Rechtsextremen. Ein großer Teil des Zulaufs, den diese Partei hat, kommt aus der Verschwörungstheorie, sie werde an den Rand gedrängt und benachteiligt. Die AfD lebt von der Provokation, aber das nutzt sich ab. Irgendwann wird das langweilig.

Zur Fußball-Europameisterschaft haben AfD-Politiker – zuletzt die Berliner Landesvorsitzende Beatrix von Storch – deutsche Nationalspieler mit Migrationshintergrund beleidigt. Bleiben Sie da auch so gelassen?

Sellering: Ich würde mich freuen, wenn ganz Deutschland einfach nur sagen würde: „Wie dämlich ist das denn!“ Dieses Empörungsspiel, auf das die AfD abzielt, sollte man nicht mitmachen.

Ist die Partei nicht längst ein Fall für den Verfassungsschutz?

Sellering: Die Partei als Ganzes sicher nicht. Aber es gibt auch Äußerungen aus der Partei, die klar rassistisch sind. Auf einzelne Kader sollte der Verfassungsschutz sicher ein Auge werfen.

Bekommen Sie im Wahlkampf eigentlich Rückenwind von der Bundespartei?

Sellering: Zurzeit spüren wir keinen Rückenwind aus Berlin. Das hat mit dem allgemeinen Frust in der Flüchtlingskrise zu tun, aber auch mit der Situation in der großen Koalition. Die SPD leistet in der Bundesregierung wirklich gute Arbeit. Mindestlohn, Rente mit 63 für langjährige Arbeitnehmer, mehr Geld für Kitas – alles Erfolge der SPD. Aber als Juniorpartner ist es nicht einfach, ein klares Profil zu zeigen.

Auch das Ansehen des Parteichefs leidet. Tritt Sigmar Gabriel bei Ihnen an der Küste im Wahlkampf auf, oder wäre das eher ein Handicap?

Sellering: Er tritt natürlich bei uns auf, und auch Frank-Walter Steinmeier kommt.

Braucht eine SPD, die ein Jahr vor der Bundestagswahl in Umfragen an der 20-Prozent-Marke dümpelt, überhaupt einen Kanzlerkandidaten?

Sellering: Ja, natürlich. Wir sind eine große Volkspartei. Wenn wir klar vermitteln, dass wir regieren können und regieren wollen, gehen die Zahlen auch wieder nach oben.

Gabriel hat die SPD zu einem Wettbewerb um die nächste Kanzlerkandidatur aufgerufen – doch alle winken ab.

Sellering: Die Diskussion um eine Urwahl des Kanzlerkandidaten kommt zur Unzeit. Die Partei hat einen Vorsitzenden gewählt, der den ersten Zugriff auf die Kanzlerkandidatur hat. Jetzt künstlich Gegenkandidaten aufzubieten, damit es spannender wird, halte ich nicht für richtig.

Sie feiern im Herbst Ihren 67. Geburtstag und sind vor drei Jahren noch einmal Vater geworden. Falls Sie wiedergewählt werden – stehen Sie für eine volle Amtszeit zur Verfügung?

Sellering: Selbstverständlich.

In Schwerin lebt auch Manuela Schwesig, die für ihren aktuellen Job als Bundesfamilienministerin nach Berlin pendeln muss. Wäre sie eine qualifizierte Nachfolgerin?

Sellering: Ich bin stolz darauf, dass ich in den letzten Jahren mehrere junge Ministerinnen und Minister berufen habe, die alle sehr gute Arbeit leisten. Manuela Schwesig macht es inzwischen sogar auf Bundesebene hervorragend. Wenn sich irgendwann die Nachfolgefrage stellt, sind wir also gut aufgestellt. Aber wie gesagt: Ich trete für die gesamte Wahlperiode an.

In Rostock, der größten Stadt Ihres Bundeslandes, ist Joachim Gauck geboren, der sich zu keiner zweiten Amtszeit als Bundespräsident bereitfindet. Halten Sie es für wichtig, dass ihm eine Frau nachfolgt?

Sellering: Es wäre sehr schön, wenn endlich mal eine Frau ins Schloss Bellevue einziehen würde.

Welche Eigenschaften sollte das nächste Staatsoberhaupt außerdem haben? Ein SPD-Parteibuch?

Sellering: Es kommt mehr auf die Persönlichkeit an als auf das Parteibuch. Wir haben gerade über die Flüchtlingskrise und über die AfD gesprochen. Ich sehe die Gefahr, dass dieses Land gespalten wird. Deshalb wünsche mir eine Persönlichkeit, die zusammenführen und versöhnen kann.