Obama stärkt Clinton auf der Wahlkampf-Bühne den Rücken
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Von Dirk Hautkapp
Washington. Zum ersten Mal hat US-Präsident Obama Hillary Clinton auf der Wahlkampf-Bühne unterstützt. Die E-Mail-Affäre spart er komplett aus.
Es hätte so schön werden können für Hillary Clinton. Donald Trump, ihr unberechenbar auskeilender Widersacher bei den Republikanern, nach antisemitischen Ausfällen wieder einmal unter Rechtfertigungszwang. Sie selbst, in den meisten Umfragen mit einem satten Plus vor dem New Yorker Milliardär ausgestattet, zum ersten Mal mit dem leidenschaftlichen Flankenschutz von Amtsinhaber Barack Obama in Charlotte/North Carolina auf einer Bühne gemeinsam im Wahlkampf.
Im Brooklyner Hauptquartier von Clinton herrschte eitel Sonnenschein. Dann kam FBI-Chef James Comey. Und mit ihm eine dunkle Wolke, von der politische Wetterfrösche in Washington sagen, dass sie sich bis zur Wahl am 8. November über Clinton festsetzen wird wie ein böses Tiefdruckgebiet.
FBI attestierte der Politikerin „extreme Leichtsinnigkeit“
Zwar hatte der Chef der Bundespolizei der E-Mail-Affäre der designierten Präsidentschaftskandidatin schnell die gefährliche Spitze genommen: Es wird keine strafrechtlichen Ermittlungen in der Frage geben, ob die frühere Außenministerin bei der laxen Handhabung ihrer elektronischen Kommunikation gegen Gesetze verstoßen und die nationale Sicherheit gefährdet hat. Was der parteiübergreifend respektierte Republikaner Comey ansonsten aus Clintons digitalem Nähkästchen ausplauderte, kam dagegen einem Totalverriss gleich. Er wird die Affäre neu befeuern und Clintons Reputation als Frau, die sich Sonderrechte einräumt, festigen.
Das waren die US-Präsidenten seit 1945
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Comey attestierte der früheren First Lady „extreme Leichtsinnigkeit“ (und damit ein bescheidenes Urteilsvermögen) bei der Abfassung ihrer E-Mail-Korrespondenz als Außenministerin. Abgeschirmt von Regierungsnetzen lief sie über mehrere private Server und Geräte (Computer, Laptops, Smartphones). 113 von über 30.000 untersuchten Mails erfüllten das Kriterium der Geheimhaltung, acht waren sogar „top secret“. Dass auswärtige Hacker Clinton im Auftrag Russlands oder Chinas ausbaldowert haben, konnte das FBI nicht zweifelfrei feststellen, schließt es aber ausdrücklich nicht aus. Comey rückte Clinton indirekt in den Bereich der Lüge. Die Kandidatin hatte immer wieder beteuert, den privaten Server allein aus Gründen der Bequemlichkeit (ein Gerät für alles) benutzt zu haben. Vertrauliche Nachrichten will sie niemals via E-Mail verbreitet haben. Das FBI stellte das Gegenteil fest.
Keine Straverfolgung wegen E-Mail-Affäre
Trotzdem: Strafverfolgungswürdig sei Clintons Verhalten nicht gewesen, sagte Comey. Selbst den Tatbestand der „groben Fahrlässigkeit“ wollte er nicht erkennen, nahm sich im gleichen Satz aber selbst den Wind aus den Segeln, als er andeutete: Unterrangige Mitarbeiter von Regierungsstellen hätten bei ähnlichem Gebaren gewiss mit erheblichen Konsequenzen zu rechnen gehabt. Das Clinton davon verschont blieb, was letztlich das Aus für ihre Präsidentschaftskandidatur verhinderte, ist den oppositionellen Republikanern Ausweis für eine anrüchige „Lex Clinton“. Paul Ryan, Sprechers des Repräsentantenhauses, intonierte den Refrain, der bis zur Wahl noch dutzendfach aus Republikaner-Mündern zu hören sein wird: „Niemand sollte über dem Gesetz stehen.“
Für Clinton ist der Schaden noch nicht absehbar. Ihr größtes Handicap, eine Mehrheit der Amerikaner hält sie für unehrlich bis durchtrieben, dies ist nun vom FBI offiziell bestätigt worden. Daraus ergeben sich Fragen, die Barack Obama bei seinem leidenschaftlichen Lobgesang auf seine Rivalin von 2008 („Es gab noch nie einen Mann oder eine Frau, die derart qualifiziert für dieses Amt war. Noch nie!“) auf der Wahlkampfbühne in Charlotte geflissentlich ignorierte: Werden unabhängige Wähler, auf die Clinton angewiesen ist, ihr die Eskapaden nachsehen? Was macht die Ohrfeige des FBI für Clinton mit der stolzen Anhängerschaft ihres parteiinternen Konkurrenten Bernie Sanders?
„Weil ich an Hillary Clinton glaube“
Die Republikaner wollen sich nicht damit abfinden, dass Justizministerin Loretta Lynch sehr bald der Empfehlung des FBI folgen und den Fall zu den Akten legen wird. Wie Trump äußerten auch konservative Kongressabgeordnete den Verdacht, dass das Washingtoner System zum Frommen Clintons „manipuliert“ worden sei. Trump ging sogar so weit, Clinton vorzuwerfen, sie habe Lynch versichert, sie im Fall eines Wahlsiegs im Amt zu belassen.
Obama sparte das E-Mail-Kapitel komplett aus. „Ich bin heute hier, weil ich an Hillary Clinton glaube!“, rief der Präsident emphatisch. Später umarmte und küsste er die sichtlich von den FBI-Entwicklungen irritierte Kandidatin auf die Wange. Seine Botschaft: einfach ignorieren. Clinton folgte dem Rat. Im Spielerparadies Atlantic City rückte sie gestern selbstbewusst die vielen Pleiten von Donald Trump in den Mittelpunkt, der dort mehrere Casinos unterhielt. Manche Kommentatoren halten das für gewagt. Nach dem Attest des FBI täte die Kandidatin gut daran, sich erst einmal mit ihrem eigenen „moralischen Bankrott“ zu beschäftigen.
Hauptstadt Inside von Jörg Quoos, Chefredakteur der FUNKE Zentralredaktion
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