Stuttgart/Berlin. Die Spaltung der Rechtspopulisten in Baden-Württemberg geht auf ein Zerwürfnis an der Bundesspitze der Partei zurück. Ein Überblick.

Das Chaos in der AfD verstärkt sich. Nach dem Bruch der Landtagsfraktion in Baden-Württemberg kündigte deren bisheriger Vorsitzender Jörg Meuthen am Mittwoch an, er werde eine neue Fraktion mit dem Namen „Alternative für Baden-Württemberg“ gründen.

Der Schritt ist ein Affront gegen AfD-Chefin Frauke Petry, die zusammen mit Meuthen die Bundespartei führt – und sich in Stuttgart persönlich dafür eingesetzt hatte, die Landtagsfraktion nach dem Antisemitismusstreit wieder zu einen. Prompt sprach Petry Meuthens Truppe ab, die rechtmäßige Vertretung der AfD zu sein – das bleibe, erklärte sie, die bisherige Fraktion.

Nicht nur ein Provinzkrach

Nicht nur dies war eine offene Kampfansage. Umgekehrt hatte Meu­then zuvor vergeblich versucht, seiner Co-Vorsitzenden Petry Hausverbot im Landtag erteilen zu lassen. Nach langem Zögern stimmte er dann doch einem Gespräch mit Petry zu, mit der er ja gemeinsam im Bundesvorstand sitzt. Das Treffen konnte den Bruch aber nicht kitten.

Jetzt ist offenkundig: Der Eklat in Stuttgart ist nicht nur ein Provinzkrach – er ist längst ein offener Machtkampf um die Führung der AfD und die Spitzenkandidatur zur Bundestagswahl. AfD-Vize Alexander Gauland sagt: „Es sind machtpolitische Spielchen gespielt worden bei einer Grundsatzfrage der Partei.“ Das sind die zentralen Spieler und ihre Ziele:

Ein Teamspieler mit starken Bündnispartnern

Jörg Meuthen: Der 55 Jahre alte Volkswirtschaftsprofessor ist Chef der Bundes-AfD, stand bisher aber im Schatten der Co-Vorsitzenden Petry. Inhaltlich trennt beide nicht so viel, doch persönlich haben sie sich völlig überworfen. Der freundliche Wirtschaftsliberale hat lange versucht, Flügelstreit zu verhindern – und relativierte dafür auch radikale Sprüche vom rechten AfD-Rand. Doch im Streit über antisemitische Äußerungen des Landtagsabgeordneten Wolfgang Gedeon ging Meuthen auf Konfrontation und pokerte hoch: Er forderte Gedeons Ausschluss aus der Fraktion und eine Null-Toleranz-Strategie gegen Antisemitismus.

Erst ließ sich Meuthen auf einen von Petry befürworteten Kompromiss ein, zunächst Gutachten erstellen zu lassen. Am Dienstag suchte er dann doch die Entscheidung. Als er in der Fraktion die nötige Zweidrittelmehrheit für den Rauswurf Gedeons nicht bekam, kündigte er an, mit zwölf der 23 Abgeordneten die AfD-Fraktion zu verlassen. Meuthen hat dafür die Rückendeckung der Mehrheit des Bundesvorstands.

Und er hat sich mit Parteivize Alexander Gauland und dem Thüringer Landeschef Björn Höcke starke Bündnispartner gesichert. Petry wirft er vor, sie habe in seine Fraktion hineinregiert. Seine Unterstützer behaupten, Petry habe den Konflikt für eigene Zwecke benutzt, um Meuthen zu schwächen – und seine mögliche Spitzenkandidatur bei der Bundestagswahl 2017 zu verhindern.

Petry wirkt isoliert

Frauke Petry: Tatsächlich hat sich die Parteichefin früh in Stuttgart eingemischt und ihren Führungskollegen attackiert. Meuthen habe sich zu spät um die Antisemitismusvorwürfe gekümmert und dann unklug agiert, behauptet die 41 Jahre alte promovierte Chemikerin aus Sachsen.

In einem Schreiben an die AfD-Mitglieder klagte Petry, Meu­then habe eine seriöse Form der Aufklärung versäumt. Die zehn Abgeordneten, die gegen Gedeons Ausschluss stimmten, werden Petrys Lager zugerechnet. Ihr Verhältnis zu rechts außen ist widersprüchlich. Antisemitismus dulde die AfD nicht, erklärt sie, aber die Spaltung müsse verhindert werden. Petry hält sich zugute, Gedeon zum Fraktionsaustritt überredet zu haben.

Das Ziel, Meu­then zur Rückkehr in die Fraktion zu bewegen und sich als Krisenmanagerin feiern zu lassen, erreichte sie nicht. Stattdessen zeigt der Eklat, wie isoliert Petry im Bundesvorstand ist: Die große Mehrheit von zehn Vorstandsmitgliedern stellte sich hinter Meuthen und gegen die Abgeordneten, die den Ausschluss von Gedeon ablehnten – Petry und ihre wenigen Getreuen im Vorstand, darunter ihr Lebensgefährte und NRW-Landeschef Marcus Pretzell, fehlten bei der Telefonkonferenz .

Gauland fährt Zermürbungstaktik gegen Petry

Alexander Gauland: Der 75 Jahre alte AfD-Bundesvize ist Galionsfigur des nationalkonservativen Flügels und seit Langem ein Gegner Petrys. Er hält sie für überfordert, wirft ihr Alleingänge vor. Gauland gab Petry am Mittwoch eine Mitschuld an der Eskalation in Baden-Württemberg; sie habe sich in Dinge eingemischt, die sie nichts angingen.

Längst bildet Gauland nicht nur mit dem Thüringer AfD-Landeschef Björn Höcke, sondern auch mit Meuthen eine Allianz. Ihr Ziel ist es offenbar, Petry als Spitzenkandidatin zu verhindern und als Parteichefin zu zermürben. Eine offene Schlacht vermeiden sie bisher, denn die Mehrheiten in der Partei sind ungewiss – zumal es nicht um eine Richtungsentscheidung geht. Meuthen hatte sich ja lange von den Nationalkonservativen ferngehalten und etwa versichert, er sei auch mit Muslimen befreundet.

Ein Rechtsausleger steht zu Meuthen

Björn Höcke: Der Thüringer AfD-Chef gilt als scharfer Rechtsausleger der Partei und ist jetzt Verbündeter Meu­thens. Im Fall Gedeon habe Meuthen Führungsqualitäten bewiesen, lobt der 44-jährige Gymnasiallehrer. Höcke ist spätestens seit seinen rassistischen Parolen über die „Reproduktionsstrategien“ der Afrikaner intern umstritten.

Diese Woche bedankte er sich beim zurückgetretenen Chef der britischen Ukip, Nigel Farage: Der habe durch seine Brexit-Kampagne gezeigt, „dass es doch noch einen Weg raus aus der EU-Diktatur gibt“. Höcke werden Ambitionen auf den Parteivorsitz nachgesagt, doch würde seine Kandidatur die AfD wohl in eine Zerreißprobe treiben.

Beatrix von Storch: Die 45 Jahre alte Bundesvize und Berliner Landeschefin spielt hinter den Kulissen eine wichtige Rolle. Die wortgewandte Juristin und Europa-Abgeordnete hat seit vielen Jahren nationalkonservative Kampagnen organisiert, ist eine gute Netzwerkerin. Wenn Petry den Machtkampf verliert, gilt Storch als mögliche Nachfolgerin. Viel hängt aber davon ab, wie die AfD bei den Berliner Abgeordnetenhauswahlen im September abschneidet. Bundesweit ist die AfD nach den jüngsten Querelen in Umfragen schon abgerutscht, laut Forsa liegt sie jetzt bei neun Prozent.