Berlin/Stuttgart. Spaltung, Rücktritt, Machtpoker – das Durcheinander in der Stuttgarter AfD-Fraktion hat Folgen über das „Ländle“ hinaus. Eine Analyse.

Es geht drunter und drüber in der AfD-Fraktion im baden-württembergischen Landtag. Da ist es nicht einfach den Überblick zu halten. Was ist geschehen? Und welche sind die Folgen für die Partei insgesamt? Ein Überblick:

• Der Auslöser

Ausgangspunkt des Streits waren Antisemitismus-Vorwürfe gegen den AfD-Landtagsabgeordnete Wolfgang Gedeon. Die Kritik entzündete sich unter anderem an Passagen in Gedeons Buch „Der grüne Kommunismus und die Diktatur der Minderheiten“. So schrieb er im Zusammenhang mit dem Holocaust verharmlosend von „gewissen Schandtaten“. Zudem hatte er Holocaust-Leugner als „Dissidenten“ bezeichnet – und so mit Menschen verglichen, die für ihr politisches Engagement in autoritären Regimes verfolgt werden. Von Gedeon stammt auch der Satz: „Das Talmud-Judentum ist der innere Feind des christlichen Abendlandes.“

• Das Zerwürfnis

Jörg Meuthen, Fraktionschef der AfD im Landtag und gleichzeitig neben Frauke Petry Co-Chef der Bundespartei, forderte Gedeon auf, sein Mandat im Landtag niederzulegen. Gedeon lehnte jedoch ab. Als es Meuthen nicht gelang, die notwendige Zwei-Drittel-Mehrheit in der 23-köpfigen Fraktion für den Rauswurf Gedeons zu organisieren, verkündete Meuthen schließlich am Dienstagnachmittag seinen eigenen Austritt. Gemeinsam mit zwölf Getreuen verließ er die Fraktion, die übrigen zehn waren damit auf sich gestellt. Meuthen sprach von einem „schmerzhaften, aber notwendigen Schritt“. Der Bundesvorstand der Partei kündigte an, er werde Meuthens Truppe als neue AfD-Fraktion anerkennen.

• Der Rückzieher

Am Dienstagabend war dann plötzlich alles anders: Wolfgang Gedeon kündigte an, die Landtagsfraktion nun doch zu verlassen. „Die Parteivernunft zwingt mich dazu, dass ich hier meinen Rücktritt aus der Fraktion erkläre“, sagte er nach einer gemeinsamen Sitzung, an der auch Co-Parteichefin Frauke Petry teilgenommen hatte. Offensichtlich war der Druck auf Gedeon zu groß geworden. Der partei-interne Streit, der längst über Stuttgart hinaus reichte, sowie das brisante Thema Antisemitismus waren zu einer immer größeren Belastung für die AfD insgesamt geworden. Der Präsident des Zentralrats der Juden, Josef Schuster, hatte bereits erklärt: „Wer die Schoah relativiert und Holocaust-Leugner als Dissidenten bezeichnet, ist eindeutig antisemitisch.“ AfD-Vize Alexander Gauland mahnte angesichts des drohenden Image-Schadens: „Wenn wir beim Thema Antisemitismus eine offene Baustelle haben, dann werden wir immer in großen Schwierigkeiten stecken.“

• Die Absage

Steht mit Gedeons angekündigtem Abgang der „Wiedervereinigung“ der AfD-Landtagsfraktion nun nichts mehr im Wege? Jörg Meuthen hält davon nichts. „Die Spaltung wurde vollzogen, als zehn von 23 Abgeordneten nicht für den Ausschluss Wolfgang Gedeons gestimmt haben“, sagte er am Dienstagabend. „Diese Abgeordneten haben sich – aus welchen Motiven auch immer – auf die Seite eines Antisemiten gestellt.“ Es werde „keinen Rücktritt vom Rücktritt geben“. Es steht also weiterhin 13 zu 10 im Landtag. Meuthen will nun mit seinen Mitstreitern eine neue Fraktion im Landtag bilden. Er hoffe, dass sich aus den in der bisherigen Fraktion verbliebenen Abgeordneten einige seinem Lager anschlössen, sagte er am Mittwochmorgen in Stuttgart. „Mein Ziel ist es, dass die AfD eine von Antisemitismus, Rassismus und Extremismus saubere Partei ist.“

• Der Machtkampf

Der Zerfall der AfD-Landtagsfraktion wird immer mehr zu einem Machtkampf zwischen den Parteichefs Petry und Meuthen. Petry erhöhte in der Nacht zum Mittwoch den Druck auf Meuthen: „Die Spaltung der Fraktion muss jetzt beendet werden. Das ist die AfD den Wählern schuldig. Ich würde mich insbesondere freuen, wenn Jörg Meuthen erneut Teil der AfD-Fraktion wird.“ Meuthen hatte Petry zuvor mehrfach vorgeworfen, sie versuche nicht erst seit dem Fall Gedeon in seine Fraktion „hineinzuregieren“. Petry habe nachweislich mit Mitgliedern der Landtagsfraktion telefoniert und sich in Belange der AfD Baden-Württemberg eingemischt, so Meuthen: „Das hat nicht geholfen, ganz im Gegenteil.“ Am Dienstag versuchte Meuthen vergeblich, Frauke Petry ein Hausverbot in Räumen des Stuttgarter Landtages zu erteilen.

Andere Mitglieder der Parteispitze sehen Petrys Agieren in Stuttgart als Versuch, Meuthen als möglichen Spitzenkandidaten für die Bundestagswahl 2017 unmöglich zu machen. Partei-Vize Gauland kritisierte das Verhalten Petrys. Es sei nicht „zielführend“ gewesen, dass sie nach Stuttgart gereist und in die Fraktion eingegriffen habe, sagte Gauland am Mittwoch im ZDF-„Morgenmagazin“. Von Petrys Reise nach Stuttgart habe er nichts gewusst. Am Mittwochmittag trafen sich Petry und Meuthen dann in Stuttgart zu einem Vier-Augen-Gespräch. (mit dpa/rtr)