Stuttgart. Die AfD-Fraktion im Landtag Baden-Württemberg steht vor dem Ende. 13 von 23 Mitgliedern wollen gehen – darunter auch der Vorsitzende.

Lange hat er gezögert. Doch am Dienstag verkündet der AfD-Chef im Stuttgarter Landtag, Jörg Meuthen, fast staatstragend den Austritt aus der Fraktion. Er stolpert über den Konflikt um den früheren Arzt Wolfgang Gedeon, der wegen seiner Bücher deutschlandweit als Antisemit in der Kritik steht. Lange hat AfD-Landeschef zugesehen, wie sich der umstrittene Politiker hielt – nun zieht Meuthen überraschend die Reißleine.

Er und zwölf weitere Abgeordnete spalten sich ab von der Fraktion. Ob sie es schaffen, eine neue Parlamentsgruppe zu gründen ist ebenso offen wie die Zukunft derjenigen, die nicht bereit waren, sich von Gedeon zu trennen. Gedeon selbst hingegen hat noch am späten Dienstagabend seinen Rückzug aus der Fraktion bekanntgegeben. Den Bruch der Gesamtfraktion hat er damit aber nicht mehr verhindert.

Am Abend versuchte Meuthens Widersacherin im AfD-Parteivorstand, Frauke Petry, die Entwicklung noch umzukehren. Nachdem der umstrittene Abgeordnete Gedeon seinen Austritt aus der Fraktion verkündet hat, teilt Petry mit, damit sei die AfD-Spaltung in Baden-Württemberg abgewendet. Dem widerspricht Meuthen. „Der Fraktionsbruch ist rechtskräftig“, sagt er der dpa am Abend nach Gedeons Erklärung. An diesem Mittwoch sollen die Abgeordneten zusammenkommen, um über eine mögliche Neugründung der AfD-Fraktion zu tagen, kündigt Meuthen an.

Vorwürfe über Parteigrenzen hinweg

Dabei ist es keine vier Monate her, dass die AfD erstmals und dann gleich als stärkste Oppositionspartei in das Parlament einzog. 23 Abgeordnete aus dem Stand. Das war ein Schock für die etablierten Parteien in dem Land unter Führung des Grünen-Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann. Aber früh sagten die Alteingesessenen der AfD auch das voraus, was nun eintritt: die Selbstzerfleischung wegen massiver innerparteilicher Differenzen.

Über die Parteigrenzen von Grünen, CDU, SPD und FDP hinweg sowie von Religionsgemeinschaften musste sich Meuthen vorwerfen lassen, den Antisemitismus in den eigenen Reihen nicht entschieden genug zu bekämpfen. Als er sich vor knapp zwei Wochen noch auf den Kompromiss einließ, ein Gutachten über Gedeons Bücher anfertigen zu lassen, war das Entsetzen groß.

Meuthen hatte zwar mit Rücktritt gedroht, sollte Gedeon nicht aus der Fraktion geworfen werden. Dann gab er ihm doch eine Schonfrist. Eigentlich sollte über den Rauswurf erst nach der Sommerpause auf Grundlage des Gutachtens entschieden werden. Zwar wollten sich beide - Gedeon und Meuthen - als Sieger des Kompromisses sehen. Aber die Kommentare, dass vor allem Meuthen schwer beschädigt sei, waren einhellig.

„Unerfreulicher Reinigungsprozess für junge Parteien“

Nun die Wende. Eine Flucht nach vorn. Der AfD-Bundesvorstand sicherte dem Co-Parteichef Meuthen Unterstützung zu, von Petry aber gab es zunächst keine Reaktion. Sie hatte sich schon früh wegen der Einmischung in den Fall den Zorn Meuthens zugezogen. Dabei hatte gerade sie die Kompromisslösung im Juni gelobt. Beigelegt war der innerparteiliche Streit damit aber nicht.

Nun scheint die AfD-Fraktion im Landtag Geschichte zu sein – noch vor Beginn der parlamentarischen Sommerpause. Der Abgeordnete und Stuttgarter Stadtrat Heinrich Fiechtner und andere Gefolgsleute Meuthens drängten sich am Dienstag dicht um den Parteichef. Früh hatte sich vor allem Meuthen entsetzt darüber gezeigt, dass Gedeon den Völkermord an den Juden als „Schandtaten“ verharmloste. Antisemitismus habe keinen Platz in der AfD, betont er nun einmal mehr. Doch andere in der Partei dürften da anderer Meinung sein.

Eine geplante Aktion sei der Austritt der Abgeordneten zwar nicht gewesen. Unüblich sei so ein „unerfreulicher Bereinigungsprozess für junge Parteien“ aber nun einmal nicht, meint Meuthen. Ein „schmerzhafter Vorgang“ sei es allemal. Da gebe es nichts schönzureden, sagte er am Nachmittag.

Flügelkämpfe, Rücktritte und Eitelkeiten machen der AfD auch in ihrer Hochburg Sachsen-Anhalt zu schaffen. Auch dort befasst sich die als Fundamentalopposition angetretene Partei wie die Südwest-AfD vor allem mit sich selbst. Auf die im Wahlkampf angekündigten Akzente der Rechtspopulisten warteten die Wähler aber bisher vergeblich. (dpa)