Berlin. Finanz- und Flüchtlingskrise, Fast-Grexit, Brexit – und nun auch noch Neuwahlen in Österreich. Europa gerät mehr und mehr ins Taumeln.

Im Jahr 1949 experimentierte der amerikanische Ingenieur Edward A. Murphy am Raketenschlittenprogramm der US Air Force. Ein ganz besonders teurer Versuch schlug fehl, weil ein Mitarbeiter gleich alle 16 Sensoren am menschlichen Versuchskörper falsch angeklebt hatte. Den schlimmen Flopp fasste der frustrierte Murphy so zusammen: „Wenn es mehrere Möglichkeiten gibt, eine Aufgabe zu erledigen, und eine davon in einer Katastrophe endet, wird es jemand genau so machen.“

Blickt man auf den alten Kontinent, muss man leider derzeit feststellen: Murphys Gesetz ist derzeit oberstes Gesetz in Europa. Nach multiplen Finanzkrisen, einer erschreckenden Kakophonie in der Flüchtlingskrise, einem knapp verhinderten Grexit und einem überflüssigen Brexit hagelt das nächste Polit-Desaster herein: Die Republik Österreich muss die Bundespräsidentenwahl wiederholen, weil die Wahlhelfer offenbar nicht in der Lage waren, den Bestimmungen des österreichischen Wahlgesetzes zu folgen.

Neuwahl könnte Populisten in die Karten spielen

Die peinliche Neuwahl kann leider nicht als alpenländische Posse abgehakt werden – dazu ist der Hintergrund zu dramatisch. Mit der vom österreichischen Verfassungsgericht erzwungenen Neuwahl könnte dem grassierenden Rechtspopulismus in Europa ein gewaltiger Schub bevorstehen.

Angefeuert von der nationalistischen Begleitmusik zum Brexit haben die Anhänger der Rechtspopulisten in Österreich die Chance, eine hauchdünne Niederlage in einen späten Überraschungssieg umzudrehen. Damit gäbe es keinen liberal-gesinnten Bundespräsidenten Alexander van der Bellen, der nächste Woche eigentlich vereidigt werden sollte, sondern Norbert Hofer von der FPÖ.

Kraft Gesetz ist Hofer sogar jetzt schon Staatsoberhaupt, weil laut Verfassung die drei Nationalratspräsidenten das vakante Amt des Bundespräsidenten übernehmen müssen. Hofer geht also mit Amtsbonus in die dritte und entscheidende Wahlrunde.

Hofer brachte Öxit ins Gespräch

Der Rechtspopulist Hofer hat bereits nach dem Ausstiegsvotum der Briten einen Öxit ins Gespräch gebracht und setzt Brüssel fleißig Ultimaten. Binnen eines Jahres muss sich die EU ändern, sonst will er auch er ein Referendum über die Zugehörigkeit zur Europäischen Union anstrengen.

Anders als in Deutschland ist Österreichs Bundespräsident mit weitgehenden Befugnissen ausgestattet. Während es die vornehmste Aufgabe des deutschen Staatsoberhauptes ist, kluge Reden zu halten, kann der Österreicher richtig Politik machen.

Norbert Hofer dürfte im Streitfall kraft Gesetz den Kanzler oder gleich die ganze Regierung entlassen und den hochgelobten Ex-Bahnchef und Neukanzler Christian Kern von der SPÖ schneller auf das Abstellgleis schieben, als dem lieb ist. Dass Hofer mit seinen jugendlichen 45 Jahren den Bundespräsidentensitz am Wiener Ballhausplatz weniger zum Ruhesitz, sondern eher zu einer Nebenregierungszentrale umfunktionieren würde, gilt in Österreich als sehr wahrscheinlich.

Europa wackelt – und braucht ein stabiles Österreich

Gelänge der FPÖ die Wahlsensation, ginge neben Polen, Frankreich und Dänemark auch der Nachbar Österreich auf deutlichen Rechtskurs, was wiederum keine gute Nachricht für die deutsche Kanzlerin der Mitte wäre. Angela Merkel versucht verzweifelt mit ihrem politischen Gewicht und der Stärke Deutschlands in Europa zu retten, was zu retten ist. Dazu benötigt sie jeden Verbündeten – auch die Kleinen wie Österreich.

Eine innenpolitische Krise in Österreich mit Bundespräsident und Kanzler als Kontrahenten ist wirklich das Letzte, was das wackelige Europa jetzt braucht.