Brüssel. Die Frage, wer über das Ceta-Abkommen mit Kanada entscheiden soll, führt zum Streit zwischen EU und Berlin. Die Nerven liegen blank.

Sichtlich verärgert hat EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker auf die Kritik daran reagiert, dass die EU-Kommission die nationalen Parlamente beim Ceta-Abkommen außen vor lassen will. Die EU-Kommission sei nach einer juristischen Analyse zu der Auffassung gelangt, dass das Freihandelsabkommen mit Kanada ein ausschließlich europäisches Abkommen sei und die Zustimmung nationaler Parlamente damit nicht notwendig wäre.

„Mir persönlich ist das aber relativ schnurzegal“, maulte Juncker am Mittwoch in Brüssel, „ich werde nicht auf dem Altar juristischer Fragen sterben.“ Ceta sei das beste Abkommen, das die EU jemals ausgehandelt habe. Inhaltlich habe auch niemand etwas dagegen auszusetzen.

Gabriel über Juncker: „Das ist unglaublich töricht“

Was war passiert? Juncker hatte schon zuvor auf die Zuständigkeit seiner Brüsseler Kommission in der heiklen Frage gepocht. Doch das gefiel dem deutschen Vizekanzler Sigmar Gabriel (SPD) gar nicht. „Die EU-Kommission will mit dem Kopf durch die Wand“, sagte Gabriel am Mittwoch in Berlin. „Jetzt zu beschließen, dass die nationalen Parlamente zu diesem Handelsabkommen nichts zu sagen haben, ist unglaublich töricht.“ Das „dumme Durchdrücken von Ceta“ werde alle Verschwörungstheorien bei anderen Freihandelsabkommen wie TTIP „explodieren“ lassen.

Ohne ein Votum des Bundestages, so der SPD-Chef weiter, werde es kein deutsches Ja zu dem Abkommen mit Kanada geben. „Was immer die EU-Kommission beschließt: in Deutschland entscheidet der deutsche Bundestag“, erklärt er. Ohne ein Ja des Bundestages werde er „auf keinen Fall Ceta zustimmen“.

Und nicht nur Juncker, sondern auch Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) sieht das anders als Gabriel. Merkel hatte ihm in Sachen Bundestagsentscheidung widersprochen. Man müsse zur Kenntnis nehmen, dass die EU-Kommission eine andere Rechtsauffassung habe, so die Kanzlerin. „Wir werden den Bundestag um Meinungsbildung bitten“, hatte sie am Dienstagabend in Brüssel lediglich angekündigt.

CDU-Bundesvize Armin Laschet und Kanzleramtsminister Peter Altmaier machten sich über die Diskussion lustig: Wenn Gabriel den Bundesrat einbinden wolle, „dann aber auch keine Zustimmung der Landesregierungen ohne Zustimmung von 16 Landtagen“, schrieb Laschet auf Twitter. Und Altmaier legte nach: „Und was ist mit den Stadt- und Gemeinderäten im ganzen Land?“

Worum geht es bei Ceta in der Sache?

Ceta gilt als Blaupause für das EU-Handelsabkommen mit den USA (TTIP), das vor allem in Deutschland und Österreich umstritten ist. Europa und Kanada hatten 2009 Verhandlungen über ein umfassendes Freihandelsabkommen mit dem Namen „Comprehensive Economic and Trade Agreement“ (Ceta) aufgenommen. Ziel war, die Zölle zwischen beiden Ländern rigoros abzubauen, die jeweiligen Heimatmärkte für den Partner weit zu öffnen und in vielen Bereichen gemeinsame Regeln und Standards zu vereinbaren. Nach fünfjährigen Verhandlungen, die lange fernab der Öffentlichkeit liefen, lag im September 2014 das Ergebnis vor.

Damit, so äußerte die EU-Kommission, könnte der Handel und Dienstleistungsaustausch zwischen beiden Wirtschaftsräumen längerfristig um 23 Prozent ausgeweitet werden. Europas Firmen würden durch vielerlei Kostenentlastungen und Vereinfachungen pro Jahr fast eine halbe Milliarde Euro einsparen. Zudem hält die Kommission einen Zusatzimpuls in Form einer jährlich zwölf Milliarden Euro höhere EU-Wirtschaftsleistung für möglich.

EU versichert: Bestandsschutz in kritischen Punkten

Bedenken über sinkende Standards, wie sie von Kritikern ins Feld geführt wurden, wies die EU stets zurück. In etlichen kritischen Feldern gebe es für Europa Bestandsschutz. Zwingende Vorschriften des Arbeitsrechts, das Streikrecht und auch der Mindestlohn würden durch Ceta nicht infrage gestellt. Als Beleg wird auf eine „Arbeitsmarktklausel“ verwiesen. Damit könnten etwa der Mindestlohn in EU-Ländern und Tarifverträge nicht in Gefahr kommen, sagt das deutsche Wirtschaftsministerium. Auch das System der Daseinsvorsorge, also die in Europa meist staatlichen Bereiche Abfall- und Abwasserentsorgung oder Nahverkehr und Sozialdienste, bleibe gesichert.

Die Kritiker sind nicht überzeugt

Die Kritiker überzeugt all das nicht. Sie fordern weiterhin den Verzicht auf das Abkommen und haben das mit der Demonstration von Hunderttausenden von Menschen im vergangenen Herbst und im Frühjahr gegen Ceta und TTIP unterstrichen. Sie sehen nach wie vor die Gefahr von überzogenen Privatisierungen und einer „Aushöhlung der öffentlichen Daseinsvorsorge“, wie etwa Attac kritisiert. Von einer „Paralleljustiz“ zum Schutz von Konzerninteressen ist die Rede, der Einschränkung demokratischer Rechte in Europa, von einer Dominanz von Profitinteressen. Auch Umwelt- und Klimastandards kämen durch Ceta unter die Räder, bemängeln die Kritiker. (rtr/dpa)