Berlin. Rechtsanwälte und Politiker werfen Erdogan Kriegsverbrechen vor. Es ist nicht ihre erste Strafanzeige gegen den türkischen Präsidenten.

Sie hat es schon einmal versucht, damals im Oktober 2011. Nun startet sie einen zweiten Anlauf. Gemeinsam mit ihrer Kollegin Petra Dervishaj und in Zusammenarbeit mit dem Verein für Demokratie und internationales Recht MAF-DAD stellt die Hamburger Rechtsanwältin Britta Eder im Namen eines Netzwerkes aus Politikern, Ärzten, Rechtsanwälten, Menschenrechtlern, Prominenten und Opferangehörigen Strafanzeige gegen keinen geringeren als Recep Tayyip Erdogan.

Die Anzeige wegen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit gegen den türkischen Präsidenten sowie gegen weitere politische und militärische Verantwortliche soll nun bei der Generalbundesanwaltschaft eingehen.

Im Wesentlichen stützt sich die rund 200 Seiten starke Anzeige, die unserer Redaktion in Auszügen vorliegt, auf zwei Fälle, die „durch Zeugenaussagen gut dokumentiert“ seien, wie Anwältin Eder dieser Redaktion sagte. Zum einen sollen während mehrerer Ausgangssperren im September 2015 in den kurdischen Gebieten im Südosten der Türkei, vor allem in der Stadt Cizre, mindestens 21 Zivilisten getötet worden sein. Die Bevölkerung sei beschossen worden, die Stadt von der Strom- und Wasserversorgung abgeschnitten gewesen und Rettungskräfte seien an der medizinischen Versorgung von verwundeten und kranken Zivilisten gehindert worden.

178 Menschen in Keller verbrannt

Bei dem zweiten Fall, der sich der Anzeige zufolge ebenfalls in Cizre abgespielt hat, seien mindestens 178 Menschen in drei Kellern verbrannt. Die meisten Opfer seien Zivilisten. Sie hätten während einer zweieinhalbmonatigen Ausgangssperre zwischen Dezember 2015 und März 2016 in den Kellern Schutz gesucht, als die Stadt durch das türkische Militär mit Artillerie, Panzern und schweren Waffen angegriffen worden sei. Viele Menschen seien gestorben, heißt es in der Schrift, weil sie keine medizinische Hilfe erhalten hätten, andere seien offenbar bei lebendigem Leib verbrannt oder zunächst getötet und anschließend verbrannt worden. Sicherheitskräfte hätten die Gebäude mit Benzin in Brand gesetzt, heißt es in der Anzeige.

Die Anzeigensteller berufen sich auf die Paragrafen 7 (Verbrechen gegen die Menschlichkeit), 8 (Kriegsverbrechen) und 11 (Anwendung verbotener Methoden der Kriegsführung) des Völkerstrafgesetzbuches (VStGB). Die Möglichkeit, die Anzeige gegen den türkischen Staatspräsidenten für im Ausland begangene Verbrechen zu stellen, sehen die Anzeigensteller gegeben, weil dem VStGB das sogenannte Weltrechtsprinzip zugrunde liege. Das Weltrechtsprinzip ist im Strafgesetzbuch (StGB), Paragraf 6, verankert. Demnach ist die Strafverfolgung etwa wegen Kriegsverbrechen und Menschenrechtsverletzungen möglich, egal wo der Tatort liegt, da es sich um international geschützte Rechtsgüter handelt.

Erstes Verfahren von Bundesanwaltschaft eingestellt

Auch bei der ersten Anzeige gegen Erdogan, damals noch im Amt des Premierministers, hatten die Anzeigensteller ähnliche Vorwürfe erhoben wie jetzt. Erdogan sowie der damals amtierende Verteidigungsminister Vecdi Gönül, dessen Vorgängern Sabahattin Çakmakoglu und İsmet Yılmaz und weitere hohe Militärs wurden für Kriegsverbrechen verantwortlich gemacht, die angeblich seit 2003 im Kurdenkonflikt in der Südosttürkei begangen worden seien. Das Verfahren war von der Generalbundesanwaltschaft in Karlsruhe eingestellt und die Anzeige nicht weiter geprüft worden, weil Erdogan als damaliger Premierminister uneingeschränkte politische Immunität genoss.

Rechtsanwältin Eder schätzt die Erfolgsaussichten jetzt höher ein. Zum einen sei die Sachlage diesmal besser als beim ersten Vorstoß 2011. Damals seien nur Einzelfälle zur Anzeige gebracht worden. „Das, was diesmal angezeigt wird, steht beispielhaft für das, was täglich in der Kurdenregion passiert“, sagt Eder. Die Taten hätten demnach eine viel größere Tragweite. Auch die Ermittlungsmöglichkeiten seien größer, weil sich direkte Augenzeugen in Deutschland aufhielten und bereit seien, auszusagen. Auch die Praxis der Generalbundesanwaltschaft habe sich in den letzte Jahren geändert. „Das Hauptziel ist“, sagt Eder, „dass es Ermittlungen gibt.“ Die Chancen dafür, ist sie sich sicher, stünden nicht schlecht.