Berlin. Filmen, posten, prügeln: Gaffer werden immer dreister. Ein neues Gesetz soll Schaulustigen den Spaß an der Katastrophe vermiesen.

Die zehnjährige Tülin liegt blutend und schwer verletzt auf der Straße, sie ist von einem Auto angefahren worden. Rettungskräfte halten weiße Tücher hoch, um das Kind vor den Blicken Schaulustiger zu schützen. Ein Mann mit einem Smartphone in der Hand kommt dazu, reißt eines der Tücher herunter und sagt: „So kann ich nicht richtig filmen.“

Es ist ein krasser Fall, der sich Mitte April am Bahnhof im nordrhein-westfälischen Hagen zugetragen und die Polizei anschließend zu einem wütenden Facebook-Appell veranlasst hat. Eine Ausnahme ist er nicht. Polizei und Rettungskräfte beklagen schon länger, dass Schaulustige an Unfallorten immer dreister werden und mittlerweile selbst vor Gewalt gegen Nothelfer nicht mehr zurückschrecken. Bilder und Videos, die bei solchen Gelegenheiten entstehen, werden immer häufiger in den sozialen Netzwerken verbreitet.

Künftig droht Gaffern bis zu ein Jahr Haft

Das hat inzwischen auch die Politik auf den Plan gerufen. Mit einer Gesetzesinitiative im Bundesrat wollen mehrere Landesregierungen dreistes Gaffen künftig stärker ahnden. Schon jetzt ist es strafbar, Bilder von verletzten Menschen ohne deren Einwilligung zu veröffentlichen. Künftig wäre schon das Filmen illegal, genau wie die Veröffentlichung von Bildern Verstorbener – das ist bislang erlaubt. Wer Rettungskräfte mit Gewalt oder der Androhung von Gewalt an ihrer Arbeit hindert, wird heute schon strafrechtlich verfolgt. Künftig drohen auch Gaffern bis zu einem Jahr Haft oder eine Geldstrafe, wenn sie sich zum Beispiel einem Platzverweis widersetzen.

Wie nötig das ist, zeigen diese Beispiele: Anfang Mai stirbt ein 85-jähriger Radfahrer im rheinland-pfälzischen Ingelheim nach einem Verkehrsunfall – unter den Augen und den gezückten Smartphones von Schaulustigen. Nur wenige Tage zuvor stirbt in Essen ein 81-jähriger Notfallpatient kurz nach seiner Einlieferung ins Krankenhaus. Die hatte sich um 15 Minuten verzögert, weil Unbekannte die Reifen des Rettungswagens zerstochen hatten. Im niedersächsischen Bremervörde sterben im Juli 2015 ein Dreijähriger und ein 65-Jähriger, als ein Auto in eine Eisdiele rast. Später werden zwei Polizisten leicht verletzt – in einer Rangelei mit Gaffern.

„Guck’ mal, drei Tote, und ich war dabei!“

Für Arnold Plickert ist die wachsende Gaffer-Problematik ein Zeichen gesellschaftlicher Verrohung: „Es ist doch widerwärtig, tote und sterbende Menschen zu filmen und das ins Netz zu stellen“, sagt der Vorsitzende der Gewerkschaft der Polizei in NRW. Dahinter stecke oft jugendliches Imponiergehabe, denn die Übeltäter seien meist zwischen 15 und 25 Jahren alt: „Da heißt es dann, guck’ mal, drei Tote, und ich war dabei!“

Von dem geplanten Gesetz erhofft sich der Gewerkschafter eine rechtliche Grundlage, um Handys kassieren und Schaulustige besser belangen zu können. Bleibt aber immer noch ein praktisches Problem: „Die Einsatzkräfte vor Ort sind ja da, um den Unfallopfern zu helfen und nicht, um die Personalien von Schaulustigen aufzunehmen“, so Plickert. „Und wenn da 50 Leute stehen, gibt es immer diejenigen, die trotz Platzverweis nicht gehen. Und die kann man nicht alle in Gewahrsam nehmen.“

Schützwände gegen Gaffer auf der Gegenfahrbahn

Um zumindest im Nachhinein Gaffer identifizieren zu können, will Plickert künftig bei Unfalleinsätzen die Bordkameras in den Streifenwagen der Polizei laufen lassen. Die werden bislang vor allem bei Verfolgungsfahrten als Beweismittel eingesetzt. In Nordrhein-Westfalen stellen die Einsatzkräfte seit vergangenem Jahr auch Schutzwände auf, um Unfallorte abzuschirmen. Das Fazit der Landesregierung nach 43 Einsätzen auf den Autobahnen: Die Zahl von Auffahrunfällen auf der Gegenfahrbahn sei zurückgegangen.