Washington. Die Demokraten haben im Kongress für Aufsehen gesorgt: Mit einem Sitzstreik wollten sie neue Waffengesetze erzwingen – und scheiterten.

Mit Sitzstreiks, Schrei-Gefechten und Protestliedern aus der Zeit der 68er ist der Kongress in Washington durchaus vertraut – vor den schwer gesicherten Eingangstüren. Aber mittendrin? Der Bruch mit den politischen Konventionen, den der vulgär-radikale Präsidentschaftskandidat Donald Trump seit Monaten erfolgreich vorexerziert, hat in der Herzkammer der amerikanischen Demokratie jetzt zu einem beispiellosen Akt parlamentarischen Ungehorsams geführt. Er wird die Gräben zwischen Demokraten und Republikanern weiter vertiefen.

Um nach dem Massaker von Orlando mit 49 Toten eine Abstimmung über schärfere Waffengesetze zu erzwingen, nahmen rund 200 demokratische Abgeordnete das Repräsentantenhaus am Mittwoch in Beschlag. Über 18 Stunden legten die Abgeordneten unter der Führung der schwarzen Bürgerrechts-Ikone John Lewis (76) bis in die frühen Morgenstunden am Donnerstag den Betrieb lahm. Weil die Kameras des Parlamentsfernseh-Kanals abgeschaltet wurden, speisten Abgeordnete via Handy die Live-Berichterstattung in die soziale Netzwerke ein.

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Es kam zu tumultartigen Szenen und Beinahe-Rangeleien, als die republikanische Mehrheit das Ansinnen als Effekthascherei abtat, das Begehren der Demokraten ignorierte und den Kongress per nächtlicher Abstimmung bis zum 5. Juli in die Zwangspause schickte. Die Demokraten sangen „We shall overcome“, die Pete-Seeger-Hymne der Bürgerrechtsbewegung, und versprachen zornig: „Wir kommen wieder. Wir geben nicht auf.“

Orlando-Täter hatte Waffen-Lizenz

Gesetze, die das in der Verfassung besonders geschützte Recht auf Waffenbesitz aufweichen, seien mit ihnen nicht zu machen, erklärte der Sprecher der zweiten Parlamentskammer, Paul Ryan. „Was die Demokraten hier machen, ist eine Publicity-Nummer.“ Bei Omar Mateen, dem Täter von Orlando, habe radikal-militanter Islamismus die Hauptrolle gespielt – und nicht der angeblich zu einfache Zugang zu Waffen.

John Lewis, in den 60er Jahren neben Dr. Martin Luther King an vorderster Front der schwarzen Bürgerrechtsbewegung, warb in einer emotionalen Rede dafür, das Ritual der parlamentarischen Tatenlosigkeit nach den regelmäßig wiederkehrenden Waffen-Tragödien endlich zu durchbrechen. „Wie viele Mütter und Väter werden noch Tränen vergießen müssen, bevor wir handeln“, sagte Lewis. „Lasst uns abstimmen, die Menschen im Land verlangen danach.“

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Auf Drängen der Demokraten sollte Terrorverdächtigen, die auf Flugverbots- oder Beobachtungslisten der Bundesregierung stehen, der Kauf von Schusswaffen verwehrt werden – „no fly, no buy“. Ein ähnlicher Vorstoß der Demokraten im Senat war zuvor gescheitert. Zwischenruf: Alle Beteiligten wissen, dass der Täter von Orlando mit diesem Instrument nicht zu belangen gewesen wäre. Er hatte eine Waffen-Lizenz und stand nicht unter besonderer Beobachtung der Behörden.

Internet-Petition für Verschärfung der Waffengesetze

John Lewis und seine Mitstreiter hätten im Falle einer Abstimmung aufgrund der Mehrheitsverhältnisse mit einer krachenden Niederlage rechnen müssen. Ihr Kalkül: Die Republikaner wären landesweit ihrer „generellen Verweigerungshaltung überführt worden“. Eine Mehrheit der Amerikaner befürwortet dosierte Maßnahmen, die Waffen nicht in die Hände von Kriminellen, potenziellen Terroristen oder psychisch labilen Menschen geraten zu lassen. Eine generelle Einschränkung der Waffengesetze wird aber vehement abgelehnt. Dazu zählt auch ein Verbot jener halbautomatischen Schnellfeuergewehre, wie sie in Orlando und bei früheren Amokläufen zum Einsatz kamen.

Präsident Obama und die designierte demokratische Präsidentschaftskandidatin Hillary Clinton beglückwünschten die Initiatoren um John Lewis zu ihrem ungewöhnlichen Einsatz. „Die Abgeordneten zeigen das Ausmaß an Frustration und Zorn – das überall im Land zu finden ist – über die Unfähigkeit der Republikaner, gesunden Menschenverstand walten zu lassen, um die amerikanischen Bürger zu schützen“, sagte Obamas Sprecher Josh Earnest. Eine Internet-Petition für eine Verschärfung der Waffengesetze hatte gestern bereits über eine Million Unterstützer.