Berlin. In der ARD hat Bundespräsident Gauck erstmals über die Hintergründe seines Amtsverzichts gesprochen. Er habe intensiv nachgedacht.

Im ARD-Interview mit dem „Bericht aus Berlin“ hat sich Bundespräsident Joachim Gauck das erste Mal im Detail über den Verzicht einer zweiten Amtszeit geäußert. „Also die Tendenz einer Amtszeit war mir von Anfang im Kopf“, sagte Gauck im Gespräch mit der Chefredakteurin des ARD-Hauptstadtstudios, Tina Hassel. Im vergangenen Winter und später im Frühjahr habe er aber noch einmal überlegt.

„Bei dieser Unruhe in den öffentlichen Debatten, und es hat sich auch eine gewisse Veränderung des Lebensgefühls in Deutschland ereignet, da habe ich die Pflicht empfunden, noch mal intensiv nachzudenken.“ Die Angriffe auf Flüchtlingsheime und das Erstarken der rechtspopulistischen AfD sind für den Bundespräsidenten aber kein Grund, eine zweite Amtszeit anzustreben: „Natürlich haben wir diese widerlichen Aktionen (...) Aber was eben manchmal in der Berichterstattung zurücktritt ist, dass wir unendlich viel mehr engagierte Bürger haben, die sich dagegen wenden, die Hilfsbereitschaft zeigen in einem Maße. Unvorstellbar.“

Gauck hält Deutschland für stabil

Gauck vertrat die Ansicht, die aktuelle Situation sei nicht mit der Zeit vor Hitler vergleichbar: „Natürlich gibt es am rechten und am linken Rand Systemverächter, die nennen das System, was wir offene Gesellschaft und Demokratie nennen. Aber kein Vergleich zur Zeit der Weimarer Republik, wo wir Institutionen hatten, aber zu wenig wache Demokraten.“ Heute gebe es funktionierende Institutionen, „eine gute Verfassung, und wir haben überaus wache Demokraten und eine so starke Zivilgesellschaft, wie wir sie noch nie in Deutschland hatten“. Das Land sei stabil.

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Auf die Frage, welche Hintergedanken Kanzlerin Angela Merkel (CDU) wohl gehabt habe bei dem Wunsch, er möge eine zweite Amtszeit antreten, sagte Gauck, er wolle sich nicht in Merkels Kopf begeben. „Sie ist eine nüchterne Frau.“ Ihm sei aber klar, dass er Merkel mit seiner Entscheidung in eine schwierige Lage gebracht habe. „Ich hatte das Gefühl, dass es natürlich einfacher gewesen wäre, ich wäre zum zweiten Mal angetreten. Aber ich will ganz deutlich sagen: Es war unendlich korrekt, ich würde fast sagen, vornehm, dass niemand mich genötigt hat aus der Politik.“

Zögernde Bevölkerung mitnehmen

Angesichts der europakritischen Haltungen in vielen Ländern hat Gauck zudem dazu aufgerufen, die Idee eines sich vereinigenden Europas stärker zu schützen. Dazu sei es unbedingt notwendig, die zögernden Bevölkerungen mitzunehmen, sagte Gauck in dem am Sonntag vorab verbreiteten ARD-Interview.

„Und deshalb kann man mal eine Pause einlegen bei dem Beschleunigungstempo“, sagte das Staatsoberhaupt. Mit den Bürgern müsse gesprochen werden, welche ökonomischen und politischen Vorteile ihnen die EU-Mitgliedschaft gebracht habe. Das sei manchen zu wenig bewusst, die sich fürchteten, „wir dürfen ja bald keine Polen oder Briten mehr sein“.

Briten frei über Brexit entscheiden lassen

Zur Abstimmung in Großbritannien über einen Austritt aus der Europäischen Union (EU) sagte Gauck, er wolle die Briten am Donnerstag frei entscheiden lassen. Aber er „hoffe, dass sie bei uns bleiben“.

Gauck hatte vor rund zwei Wochen angekündigt, er bewerbe sich 2017 aus Altersgründen nicht mehr um das Präsidentenamt. Damit hat im Jahr vor der Bundestagswahl eine schwierige Kandidatensuche begonnen. (les/rtr/dpa)