Brüssel. Vor ihrem Gipfel in Warschau demonstriert die Nato Wehrhaftigkeit. Russland reagiert mit einer Prüfung der Bereitschaft der Truppen.

Es ist einiges los im Osten. Vor den Küsten Polens hält die Nato ihr Marine- und Luftwaffen-Manöver „Baltops“ ab: 14 Nationen, 4000 Soldaten, 45 Schiffe, 60 Flugzeuge. Auf dem polnischen Festland üben derweil 31.000 Soldaten aus 24 Nato-Staaten unter dem Codenamen „Anakonda“ den Ernstfall. Zugleich startet etwas weiter nördlich schon das nächste Großmanöver: 13 Länder haben Truppen abgestellt, um in Estland, Lettland und Litauen den militärischen Schulterschluss zu proben. Dieser nennt sich „Saber Strike“ (Säbelstreich). Wer sich dabei an den weniger vornehmen Begriff „Säbelrasseln“ erinnert fühlt, liegt nicht falsch: Drei Wochen vor dem Gipfeltreffen von Warschau demonstriert das Bündnis an seiner Ostflanke Wehrhaftigkeit. Adressat ist Russland und dessen Präsident Vladimir Putin.

„Die Nato setzt nicht auf Konfrontation“, beteuert Generalsekretär Jens Stoltenberg, unter dessen Leitung die Verteidigungsminister der 28 Mitgliedstaaten diese Woche in Brüssel den Gipfel vorbereiten. „Die Nato will keinen neuen Kalten Krieg.“ Das ist die offizielle Linie: Der einst gelobte Verzicht auf eine Massierung militärischer Mittel in der unmittelbaren Nachbarschaft Russlands soll Bestand haben. Zugleich gilt das Angebot zum Spannungsabbau per Dialog. Doch im Vordergrund stehen „defence und deterrence“, Verteidigungsbereitschaft und Abschreckung.

Neue robuste Truppen im Osten

Im Zuge „verstärkter Vorne-Präsenz“ werden in Polen und im Baltikum vier Nato-Bataillone mit jeweils bis zu 1000 Mann stationiert. Stoltenberg spricht da bei ausdrücklich von „robusten“ Truppen. Sie sollen sich aber im Rahmen dessen halten, was die Nato in Zeiten strategischer Partnerschaft mit Moskau versprochen hat: keine „dauerhafte Stationierung substanzieller Kampftruppen“ auf dem Gebiet der vormaligen Warschauer-Pakt-Staaten.

Diese Zusage der Nato-Russland-Grundakte von 1997 war freilich an Rahmenbedingungen geknüpft, die längst wieder Richtung Rivalität und Misstrauen gekippt sind. Die Nato legt dennoch Wert darauf, nicht als die Partei dazustehen, die das Abkommen aufgekündigt hat. Deswegen werden die Mannschaften der vier Bataillone im Osten durchgewechselt, womit eine dauerhafte Stationierung vermieden wäre. „Deutschland ist bereit, als eine der vier Rahmennationen zu fungieren und damit deutlich Verantwortung zu übernehmen“, sagte Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU). „Für uns ist als Nato klar, dass das innerhalb des Rahmens der Nato-Russland-Grundakte sein wird.“ Der Einsatzplan soll aber erst bis zum Warschauer Gipfel erarbeitet werden.

Das Abhalten umfangreicher Manöver gehört zu den Bemühungen, die Ost-Alliierten zu beruhigen und den großen Nachbarn abzuschrecken. Wie weit man dabei gehen sollte, ist im Bündnis nicht unumstritten. So stieß das überdeutlich auf Abwehr eines Angriffs aus Russland ausgerichtete Konzept der Mammut-Übung Anakonda im Westen auf Unmut – unnötig provokativ, murrten Diplomaten. Auch dass die Ukrainer und Georgier eingeladen wurden, missfiel.

Lage unterscheidet sich von der Zeit des Kalten Kriegs

Trotz der Nato-Aufrüstung im Osten unterscheidet sich die gegenwärtige Lage aus Sicht der Verantwortlichen fundamental von der Frontstellung der Nachkriegszeit. „Damals hatten wir die globale Konfrontation zweier Supermächte. Davon kann heute keine Rede sein“, meinte Douglas Lute, Washingtons Mann bei der Nato in Brüssel. Außerdem sei Russland seinerzeit politisch und wirtschaftlich völlig isoliert gewesen. „Heute ist die russische Ökonomie viel stärker auf den Westen angewiesen als jemals im Kalten Krieg.“

Russlands Präsident Wladimir Putin reagierte auf die verstärkte westliche Truppenpräsenz in Osteuropa unterdessen auf seine Weise. Auf Befehl Putins hat die russische Armee am Dienstag mit einer überraschenden Prüfung ihrer Einsatzbereitschaft begonnen. „Das ist keine Reaktion auf das Nato-Manöver im Baltikum und die Verstärkung der Nato-Kräfte in Osteuropa“, beschwichtigte in Moskau der Chef des Verteidigungsausschusses der Staatsduma, Wladimir Komojedow. Putin hatte am Morgen als Oberbefehlshaber angeordnet, dass unter anderem die Bereitschaft zur Mobilmachung getestet werden soll. Zudem stünden mehrere Waffenarsenale sowie Militärverwaltungen im Fokus der Übung, sagte Verteidigungsminister Sergej Schojgu. So sollen Kontrolleure während der auf acht Tage angesetzten Übung den Zustand der Reserve und der eingelagerten Munition und Geräte prüfen.

Russland werde die in Moskau akkreditierten Militärattachés anderer Länder umfassend informieren, kündigte Schoigu an. Die Prüfung laufe bis zum 22. Juni. An diesem Datum gedenkt Russland des 75. Jahrestags des Angriffs von Hitlerdeutschland auf die Sowjetunion im Jahr 1941.