Berlin. Die Abstimmung im Bundesrat über sichere Herkunftsländer für Asylbewerber wird zur Kraftprobe: Die Grünen lassen ihre Muskeln spielen.

Im Bundestag haben die Grünen seit der letzten Bundestagswahl Probleme mit der Außendarstellung – als kleinste Oppositionsfraktion ist man nicht eben das Zentrum der Macht. Anders sieht es in den Bundesländern aus: Dort sind die Grünen in zehn Regierungen vertreten; darunter etwa in den Länder-Schwergewichten NRW, Hessen und Niedersachsen. In Baden-Württemberg stellen sie mit Winfried Kretschmann sogar den Ministerpräsidenten.

Die Situation in den Ländern verleiht den Grünen denn auch jene Machtperspektive, die sie im Bundestag vermissen: Im Bundesrat, der Länderkammer, läuft ohne die Grünen nichts. Jetzt will die Partei offenbar diese Karte ausspielen – bei der am Freitag nächster Woche anstehenden Abstimmung über das Gesetz, mit dem Tunesien, Algerien und Marokko als „sichere Herkunftsländer“ für Asylbewerber eingestuft werden sollen.

Das Gesetz ist für viele Grüne ein „No-go“

Das Gesetz zielt darauf ab, Asylverfahren zu beschleunigen und Schutzsuchende aus diesen Staaten schneller zurückschicken zu können. Wer aus einem sogenannten sicheren Herkunftsstaat kommt, hat in der Regel kein Recht auf Asyl. Für viele Grüne ist dieses Vorhaben ein „No-go“. Der Maghreb, so heißt es, erfülle nicht die Menschenrechtskriterien, die an sichere Herkunftsstaaten angelegt werden müssen.

In Deutschland gelten als sichere Herkunftsländer derzeit neben den EU-Mitgliedsstaaten auch Albanien, Bosnien und Herzegowina, Ghana, das Kosovo, Mazedonien, Montenegro, der Senegal und Serbien.

Der Knackpunkt: Es müssen im Bundesrat mindestens drei grün mitregierte, große Flächenländer für die von der großen Koalition im Bundestag schon beschlossene Ausweitung der Liste sicherer Herkunftsländer stimmen – andernfalls reichen die Stimmen für eine Verabschiedung des Regelwerks nicht. Ist ein Koalitionspartner gegen ein Gesetz im Bundesrat, muss sich das entsprechende Land enthalten. Doch die Ablehnungsfront bei den Grünen wird immer breiter.

Klare Ablehnung aus Schleswig-Holstein

„Das machen wir so nicht mit“, sagte Schleswig-Holsteins Innenminister Stefan Studt (SPD) am Donnerstag im Kieler Landtag. Seine rot-grüne Koalitionsregierung werde mit Nein votieren. Die Vorsitzende der Kieler Grünen-Fraktion, Eka von Kalben, sah die Voraussetzungen für eine Einstufung der nordafrikanischen Staaten als sichere Herkunftsländer noch nicht gegeben. In jedem der Länder würden Homosexuelle verfolgt, sagte sie im Landtag.

In NRW hatte der Grünen-Landesvorsitzende Sven Lehmann bereits Mitte Mai die Landesregierungen mit grüner Beteiligung aufgefordert, dem Gesetz nicht zuzustimmen. „Die große Koalition gibt ihre Verantwortung für die Menschenrechte in Nordafrika ab“, sagte Lehmann dem „Kölner Stadt-Anzeiger“. Der Bundesrat dürfe diesen Fehler nicht wiederholen. „Algerien, Marokko und Tunesien sind alles andere als sicher für Frauen, Homosexuelle, Journalisten oder Blogger.“ Eine Enthaltung von NRW im Bundesrat gilt als sehr wahrscheinlich.

Alle blicken nun auf Winfried Kretschmann

Auch in anderen von den Grünen mitregierten Ländern hatte es zuletzt Bedenken gegeben. Etwa in Baden-Württemberg. Ein Sprecher der grün-schwarzen Regierung in Stuttgart sagte am Donnerstag: „Es ist noch nicht entschieden, wie sich Baden-Württemberg positioniert.“ Ministerpräsident Kretschmann sei noch „in der Abwägung und Prüfung“. Am kommenden Dienstag will das baden-württembergische Kabinett über sein Bundesratsvotum beraten.

Sagt Kretschmann Nein, könnte dies eine Signalwirkung haben für Grüne in anderen Landesregierungen, wo noch keine Entscheidung gefallen ist, etwa in Hessen. Denn: Kretschmann hatte früheren Ausweitungen der Liste sicherer Herkunftsländer auf Balkan-Staaten zugestimmt – und damit in der Grünen-Bundesspitze scharfe Proteste ausgelöst. Zwingt er nun dagegen seinen CDU-Bündnispartner zu einer Enthaltung Baden-Württembergs im Bundesrat, dürfte es Grünen in anderen Ländern noch schwerer fallen, mit Union und SPD zu stimmen.

Kippt das Gesetz, wäre ein wichtiger Teil des Pakets, mit dem die Bundesregierung den Zustrom von Flüchtlingen nach Deutschland eindämmen will, hinfällig geworden. Der Grüne Kretschmann selbst hat als Kompromiss für eine Entschärfung der Regelung vorgeschlagen, die Asylverfahren für Menschen aus Ländern zu verkürzen, für die bisher ohnehin nur eine geringe Anerkennungsquote galt. Ein anderer bei den Grünen gehandelter Vorschlag sieht vor, bestimmte Gruppen aus verkürzten Verfahren herauszunehmen. Im Fall der Maghreb-Staaten könnten das etwa Homosexuelle sein. (mit dpa)