Berlin. Kämpfer des Islamischen Staats hatten es 2015, im Jahr der Krise, offenbar leichter als je zuvor, nach Europa zu kommen. Zehn Fakten.

Hamza C. kam als Asylbewerber. Er sitzt im brandenburgischen Wriezen in der Flüchtlingsunterkunft, als die Polizei anrückt. Der Mann ist einer der drei Terrorverdächtigen, die am Donnerstag festgenommen wurden. Sie sollen einen Anschlag auf die Düsseldorfer Altstadt geplant haben. Ein vierter sitzt in Frankreich im Gefängnis. Mindestens drei der vier Männer tarnten sich als Schutzsuchende oder reisten 2015, auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise, über die Balkanroute nach Deutschland.

Das Bundesamt für Verfassungsschutz weiß von elf Terrorverdächtigen, die mit den Flüchtlingen kamen. Warum geben sich Terroristen als Flüchtlinge aus? Eine „show of force“, sagt Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen, also eine Machtdemonstration des Terrornetzwerks „Islamischer Staat“ (IS). Zehn Fakten über ein neues Phänomen:

1) Die allermeisten Menschen, die als Flüchtlinge zu uns kommen, sind einfach Menschen auf der Flucht. Und keine Terroristen.

2) Die Menschen fliehen vor dem Terror. Für den Chef der Polizeigewerkschaft, Rainer Wendt, liegt es auf der Hand, dass der IS versucht, Migranten zu diskreditieren und gleichzeitig die Stimmung in den Aufnahmeländern gegen sie anzuheizen. Wendt: „Es ist wichtig, dass man das entlarvt.“

3) Es war absehbar, dass der IS im Strom der Asylbewerber mitschwimmen würde. Der frühere Innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) hatte schon im September 2015 gewarnt, man könne nicht abschätzen, ob sich IS-Kämpfer unter die Flüchtlinge mischten. Den unkontrollierten Zustrom hielt er für „unverantwortlich“. Monate später, nach den Anschlägen von Paris und Brüssel, wundert sich Friedrich, „dass man darüber überrascht ist“. In anderen europäischen Ländern sei die Gefahr von Anfang an erkannt worden. „Wir waren schon ein bisschen blauäugig“, sagt Polizeigewerkschafter Wendt. „Es gab den Kontrollverlust an den Grenzen. Das muss man so sagen, ob es der Politik gefällt oder nicht.“ Zugleich warnt er davor, Flüchtlinge pauschal unter Terrorverdacht zu stellen.

Zwei Polizisten patrouillieren in der Düsseldorfer Altstadt. Hier wollten sich IS-Kämpfer angeblich in die Luft sprengen.
Zwei Polizisten patrouillieren in der Düsseldorfer Altstadt. Hier wollten sich IS-Kämpfer angeblich in die Luft sprengen. © dpa | David Young/dpa

4) Die Behörden haben das Risiko unterschätzt, der Verfassungsschutz ebenso wie der Bundesnachrichtendienst (BND). Beide gingen anfangs davon aus, dass die Terrormiliz über Geld und falsche Pässe verfügt und es nicht nötig hätte, sich auf die Pfade der Flüchtlinge zu begeben. „Wir dachten, das Risiko sei schlichtweg viel zu hoch“, sagt Verfassungsschützer Maaßen. Was den IS angehe, „müssen wir eben auch dazulernen“. Im Kopf hatte man damals die Bilder von gekenterten Schiffen im Mittelmeer. In Wahrheit reisten die Verdächtigen über die sogenannte Balkanroute nach Westeuropa. Geradezu demonstrativ ließen sich die Pariser Attentäter als Flüchtlinge regis­trieren.

5) Die Behörden haben 499 Gefährder im Visier, elf davon kamen als Flüchtlinge. Dazu zählen zwei der Attentäter von Paris, zwei Festgenommene in Salzburg, ein Terrorverdächtiger in Attendorn (Nordrhein-Westfalen), drei Verdachtsfälle in Ulm. Außerdem die drei am Donnerstag in Wriezen, Mülheim an der Ruhr und Leimen (Baden-Württemberg) verhafteten Verdächtigen. Sie waren seit Ende Januar auf dem Radarschirm der Sicherheitsbehörden. Dazu kommt der vierte Verdächtige, der in Frankreich inhaftiert ist. Auch er reiste 2015 ein.

6) Viele Migranten haben sich gar nicht oder falsch registrieren lassen. Zwei Drittel legten keine gültigen Pässe vor, so dass ein Abgleich mit den Terrordateien irreführend ist – er kann keinen Treffer ergeben. CSU-Mann Friedrich hatte schon im September gewarnt: „Wir haben die Kontrolle verloren.“ Dies werde hoffentlich nicht zu einem „bösen Erwachen“ führen.

7) Eine Folge von Frust über Perspektivlosigkeit können Gewalt und Kriminalität sein. Und: In den Unterkünften sind Migranten leicht ansprechbar für Radikale. Tatsächlich beobachtet der Verfassungsschutz, dass radikale Prediger und Salafisten um Flüchtlinge werben. Das Bundeskriminalamt (BKA) geht 244 Hinweisen über Flüchtlinge nach, die mit Terrorgruppen sympathisieren, zum Teil schon in Syrien. In 19 Fällen werden Ermittlungen durchgeführt.

8) Die Regierung kämpft darum, wieder die Kontrolle zu erlangen. Die Grenze nach Österreich wird überwacht, vom neuen „Ankunftsnachweis“ erhofft sich Innenminister Thomas de Maizière (CDU) rasch Zahlen über Illegale - und einen Überblick, wo sich Asylbewerber aufhalten.

9) Die Staatsanwaltschaften gehen nach der Darstellung von Justizminister Heiko Maas (SPD) massiv gegen Terrorverdächtige aus Syrien vor. „Der Generalbundesanwalt führt aktuell knapp 120 Verfahren mit über 180 Beschuldigten, Angeschuldigten und Angeklagten im Zusammenhang mit dem Bürgerkrieg in Syrien wegen Mitgliedschaft in oder Unterstützung einer terroristischen Vereinigung oder als Unterstützer des sogenannten Islamischen Staates“, sagt er unserer Redaktion. Weitere 38 Verfahren gab der Generalbundesanwalt an die Bundesländer ab. Maas beteuert, „unser scharfes Terrorismusstrafrecht wirkt und die Ermittlungsbehörden wenden es sehr konsequent an.“

10) Die Gesetze sind verschärft worden, um kriminell gewordene Migranten leichter abschieben und den Antiterrorkampf verstärken zu können. Ein eigenständiger Straftatbestand der Terrorismusfinanzierung wurde geschaffen. Maas: „Wenn wir Terrororganisationen wie IS in ihrem Kern treffen wollen, müssen wir versuchen, ihre Finanzquellen trockenzulegen.“