Graz/Berlin. Ein Bollwerk gegen den Rechtspopulismus? Alexander Van der Bellen ist Österreichs neuer Bundespräsident. Doch wer ist dieser Mann?

Graues Haar, grauer Stoppelbart, randlose Brille: So stellt man sich einen Professor vor. Alexander Van der Bellen, Österreichs neuer Bundespräsident, ist alles andere als ein Polterer. Er spricht ruhig, bedächtig, macht auch mal ein paar Sekunden Pause zum Nachdenken. Die sachliche Art hat der 72-Jahrige früher in seiner Uni-Laufbahn als Wirtschaftsprofessor bis in die Haarspitzen verinnerlicht.

Vor der ersten Wahlrunde am 24. April hatte Van der Bellen lange als Favorit gegolten. Vor allem, weil er – ähnlich wie Winfried Kretschmann in Baden-Württemberg – auch im bürgerlichen Lager viele Anhänger hat. Nach dem Durchmarsch seines Konkurrenten Norbert Hofer von der rechtspopulistischen FPÖ sah es dann kurzzeitig anders aus. Doch mit dem hauchdünnen Sieg im zweiten Durchgang machte Van der Bellen klar, dass er mehrheitsfähig ist.

Van der Bellens Schlachtruf: Die FPÖ um jeden Preis verhindern

Van der Bellens Polarisierungs-Strategie zahlte sich aus. Gegen Hofer präsentierte er sich im Wahlkampf als parteiübergreifendes Bollwerk gegen den Rechtspopulismus. „Ich glaube, was die Mehrheit der Österreicher nicht will, ist eine blaue Republik, mit einem blauen Bundespräsidenten, einem blauen Bundeskanzler“, betonte der neue Präsident. Blau ist die Farbe der FPÖ.

Wenn man so will, war Van der Bellen der Kandidat einer virtuellen Mega-Koalition, die mit dem Schlachtruf antrat: „Die FPÖ um jeden Preis verhindern“. Eine Bewegung, die aus Grünen, Unabhängigen, sozialdemokratischer SPÖ und konservativer ÖVP bestand. Gelegentlich fuhr der sanfte Professor auch die rhetorischen Krallen aus. FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache würde er nicht als Kanzler vereidigen, selbst wenn dessen Partei bei der nächsten Parlamentswahl 2018 die Mehrheit gewönne, kündigte er an. Strache sei schlicht zu europafeindlich. „Er hat noch zwei Jahre Zeit. Die Hofburg steht ihm jederzeit offen, wenn ich Bundespräsident bin. Vielleicht bewegt sich da ja etwas. Aber, Stand heute, halte ich das für ausgeschlossen“, spottete Van der Bellen. Doch trotz seines Wahlsieges: Die FPÖ wird das Polit-Establishment weiter nerven. In den Umfragen liegt die Partei an erster Stelle.

Widerstand gegen neue Zäune in Europa

Van der Bellens Markenzeichen war der Kontrapunkt zur FPÖ, die vor allem ausländerfeindliche und EU-kritische Töne anschlug. Die Breitseite der FPÖ gegen die EU-Bürokratie konterte er mit der Forderung: „Wir brauchen mehr Europa.“ Und: „Widerstehen wir der Versuchung, die alten Zäune wieder hochzuziehen“, sagte er zur Flüchtlingspolitik. Es gebe aber keinen Platz mehr für Wirtschaftsmigranten, fügte er mit Blick auf konservative Wähler hinzu. Eine Art Rückversicherung. Eine Politik der offenen Grenzen, wie sie der ehemalige Kanzler Werner Faymann (SPÖ) noch im September im Schulterschluss mit seiner deutschen Amtskollegin Angela Merkel (CDU) durchgesetzt hatte, ist in Österreich heute wohl nicht mehr mehrheitsfähig.

Dennoch bleibt die Flüchtlingspolitik ein Herzthema des neuen Amtsinhabers. „Wie Sie wissen, bin ich auch ein Flüchtlingskind. Österreich hat mir Heimat gegeben, zuerst Tirol, dann ganz Österreich – mir ist das wichtig“, erklärte er. Sein Vater war einst aus Russland über Estland nach Österreich geflohen. Geboren wurde „VdB“ noch in Wien, bevor seine Familie nach Kaunertal in den Tiroler Bergen zog. Im Wahlkampf gab er sich immer wieder bodenständig. Er benutzte oft den Begriff „Heimat“ – bislang ein Wort, das die FPÖ für ihre Ausgrenzungspolitik beanspruchte. Werbeplakate zeigten ihn mit seinen Hunden im Dorf.

In tagesaktuelle Themen will sich der „Neue“ nicht einmischen

Jenseits von Flüchtlings- und Europapolitik hat van der Bellen bislang wenig an Programmatik geliefert. Ob er sich dafür einsetzen würde, die von der Regierung zeitweise erwogenen Grenzkontrollen am Brenner notfalls zu kippen, ist unklar. Politische Beobachter in Wien gehen davon aus, dass der neue Bundespräsident an der Großen Koalition aus SPÖ und ÖVP nicht rütteln werde. Er habe Interesse an einem stabilen Kabinett, heißt es. Van der Bellen selbst hat mehrfach klar gemacht, dass er auf die Arbeit der Regierung achten, sich aber nicht in tagesaktuelle Themen einmischen wolle.

Im Gegensatz zur Lage in der Bundesrepublik kann das österreichische Staatsoberhaupt den Kanzler entlassen und Neuwahlen anschieben. Ein Durchmarsch der FPÖ 2018 soll auf jeden Fall verhindert werden, lautet das strategische Ziel Van der Bellens.

Nach einer langen Karriere an den Universitäten Innsbruck und Wien entschied sich der zweifache Vater erst spät für eine Laufbahn in der Politik. Die Besetzung der Hainburger Au von linken Aktivisten, die ein Wasserkraftwerk an der Donau verhindern wollten, wurde 1984 zum politischen Wendepunkt für Van der Bellen. Zu dem Zeitpunkt noch Mitglied der Sozialdemokraten, entschied er sich, zu den Grünen zu wechseln.

Keine „First Lady“ in Wien

1994 zog er schließlich ins Parlament ein und wurde bald danach für elf Jahre Parteichef. Er schaffte es, die zerrissenen Grünen zu einen und zu ersten Erfolgen zu führen. Zur Bundespräsidentenwahl trat er jedoch als Unabhängiger an. Obwohl er finanziell und personell stark von den Grünen unterstützt wurde, sei dies für ihn ein „symbolischer Unterschied“, unterstrich er.

Sein Privatleben hält der ehemalige Freimaurer Van der Bellen lieber bedeckt. Auch eine „First Lady“ will er nicht präsentieren. Seine zweite Frau, die er vor wenigen Monaten geheiratet hatte, werde ihren Beruf nicht aufgeben. Das passe nicht zum Frauenbild des 21. Jahrhundert, sagt Van der Bellen. Sie bleibe weiterhin Geschäftsführerin im Grünen Fraktionsklub.