Istanbul. Das türkische Parlament hat für die Aufhebung der Immunität von 138 Abgeordneten gestimmt. Zuvor gab es lauten Protest der Opposition.

Das türkische Parlament hat auch im letzten Wahlgang mit der erforderlichen Zweidrittelmehrheit für die Aufhebung der Immunität von mehr als einem Viertel der Abgeordneten gestimmt. 376 der 550 Parlamentarier votierten am Freitag in Ankara in der letzten Abstimmung für den Vorstoß der islamisch-konservativen AKP, wie Parlamentspräsident Ismail Kahraman mitteilte.

Vor der Abstimmung war es im türkischen Parlament zu einem Eklat gekommen. Parlamentarier der größten Oppositionspartei CHP verließen während der Debatte am Freitagvormittag unter Protest den Saal, wie der Sender CNN Türk berichtete. Die Abgeordneten skandierten dabei: „Die Türkei ist laizistisch und wird laizistisch bleiben.“

Die Aufhebung der Immunität von 138 der 550 Abgeordneten richtet sich vor allem gegen die pro-kurdische Oppositionspartei HDP, deren Fraktion am schwersten betroffen ist. Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan wirft den HDP-Abgeordneten vor, Sprachrohr der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK zu sein. Er hatte ausdrücklich dazu aufgerufen, ihre Immunität aufzuheben.

Erdogan strebt befristete Verfassungsänderung an

Die Aufhebung der Immunität sollte über eine befristete Verfassungsänderung geschehen. Für eine Verfassungsänderung war eine Zweidrittelmehrheit von 367 der 550 Abgeordneten notwendig. Dieses Grenze wurde nun also knapp übertroffen.

Bereits bei der ersten Abstimmungsrunde am Dienstag hatte eine breite Mehrheit der Abgeordneten in Ankara für den Vorschlag der AKP gestimmt. Entscheidend war jedoch die Abstimmung am Freitag.

Merkel trifft Erdogan am Montag in Istanbul

Die Bundesregierung zeigt sich besorgt über die zunehmende innenpolitische Polarisierung in dem Land. „Für die innere Stabilität jeder Demokratie ist es wichtig, dass alle relevanten gesellschaftlichen Gruppen auch parlamentarisch vertreten sind“, sagte Regierungssprecher Steffen Seibert am Freitag in Berlin. Bundeskanzlerin Angela Merkel werde das Thema bei ihrem Treffen mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan am Montag in Istanbul ansprechen. Bereits am Sonntagabend komme die Kanzlerin dort mit Vertretern der türkischen Zivilgesellschaft zusammen. Konkrete Angaben zu Teilnehmern des Treffens machte die Bundesregierung nicht.

Die Bundesregierung messe der Presse- und Meinungsfreiheit eine zentrale Rolle in jeder lebendigen Demokratie bei. „Das gilt nicht nur für die Arbeit der Presse, das gilt für den öffentlichen Ausdruck aller Bürger, die sich am politischen und am gesellschaftlichen Diskurs beteiligen wollen – und gilt insbesondere auch für deren gewählte Vertreter, die ihr Mandat frei und unabhängig ausüben können müssen“, sagte Seibert.

SPD: Es geht nur um Erdogans Macht

Die SPD hat die Entscheidung des türkischen Parlaments als schweren Rückschlag für die Demokratie kritisiert. „Der demokratische Pluralismus in der Türkei nimmt damit nachhaltigen Schaden. Es geht dabei ausschließlich um den Erhalt und Ausbau der Macht von Präsident Erdogan und der AKP“, sagte SPD-Generalsekretärin Katarina Barley am Freitag in Berlin.

Die Immunitätsaufhebung treffe zahlreiche Abgeordnete der kurdischen Partei HDP. Eine weitere Eskalation im Konflikt mit der kurdischen Minderheit sei zu befürchten. „Europa darf zu diesen Entwicklungen nicht schweigen, auch wenn wir mit der Türkei an anderer Stelle zusammenarbeiten. Das ist eine Frage von Haltung und Glaubwürdigkeit“, meinte Barley. (dpa/rtr)