Berlin. Deutsche und französische Sicherheitsbehörden zeigen sich alarmiert. Doch konkrete Hinweise auf Terrorattacken gibt es bislang nicht.

Das Bundeskriminalamt warnt nach einem Bericht der „Bild“ vor möglichen Terrorangriffen bei der Fußball-Europameisterschaft. Frankreich stehe „nicht zuletzt aufgrund der französischen Kolonialgeschichte in Nordafrika, des militärischen Engagements in Mali sowie der militärischen Unterstützung im Kampf gegen den Islamischen Staat (ISIS) im Irak und Syrien fortlaufend im besonderen Fokus islamistisch motivierter Täter“, heißt es demnach in einem BKA-Bericht.

Das Bundesinnenministerium wollte sich zum Inhalt des internen Papiers nicht äußern. Dass Frankreich im Fokus islamistischer Terroristen steht und auch Anschläge auf Fußballspiele drohen, ist keine neue Erkenntnis. Im vergangenen November hatte sich gezeigt, als während des Länderspiels zwischen Frankreich und Deutschland vor dem Stade de France mehrere Bomben durch Dschihadisten gezündet wurden.

Frankreichs Geheimdienst warnt vor Anschlagswelle

Seit Jahren sprechen Sicherheitsbehörden häufig von einer „hohen abstrakten Gefährdung“ durch Terrorismus – auch in Deutschland. Hinweise auf einen Anschlag haben Polizei und Geheimdienste in solchen Fällen nicht. Vieles bleibt für Polizei und Verfassungsschutz ein Dunkelfeld, manches auch Spekulation.

Doch nun fällt auf: Die Sicherheitsbehörden warnen in diesen Tagen mit Nachdruck vor Gewaltakten. Die EU-Polizeibehörde Europol blickte vor einigen Tagen mit Sorge auf das Turnier, hält Anschläge für möglich. Dem französischen Geheimdienst zufolge rüste sich der IS sogar für eine Welle von Bombenanschlägen während der EM. Geplant sei eine „neue Form des Angriffs“, sagte der Chef des Inlandsgeheimdienstes, Patrick Calvar, laut einer nun veröffentlichten Abschrift vor dem Verteidigungsausschuss des Parlaments. Die Strategie zeichne sich dadurch aus, dass Sprengmittel an Orten mit großen Menschenmassen platziert werden sollten. Durch Wiederholung solcher Attacken solle ein Klima maximaler Panik erzeugt werden.

Ausnahmezustand um zwei Monate verlängert

Auch dies ist keine neue Taktik der Dschihadisten. Bei den Paris-Attentaten griffen Terroristen fast zeitgleich zu den Bomben unmittelbar am Stade de France einen Musik-Club, Cafés und Restaurants in der Pariser Innenstadt an.

Mit Blick auf das Fußball-Turnier und die anschließende Tour de France hat Frankreich daher den Ausnahmezustand um zwei Monate verlängert. Damit haben französische Sicherheitsorgane Sonderrechte auch während der EM vom 10. Juni bis zum 10. Juli und beim Radrennen Tour de France, das am 2. Juli am Mont-Saint-Michel startet und am 24. Juli in Paris endet. Die jetzigen Warnungen können daher auch Teil einer Kommunikationsstrategie der Behörden sein - nach dem Motto: lieber einmal mehr warnen als zu wenig. Befürchtungen der Behörden legitimieren Maßnahmen wie Sonderrechte.

BKA-Präsident: keine konkreten Hinweise auf Anschlag

Laut BKA-Papier würden das EM-Finale und das Eröffnungsspiel zwischen Frankreich und Rumänien als besonders gefährdet eingestuft, schreibt die „Bild“. Mögliche Anschlagsziele seien zudem „symbolträchtige“ Ziele mit einer „großen medialen Aufmerksamkeit und entsprechend hohen Opferzahlen“. Auch die Nationalmannschaften selbst seien gefährdet. Der Deutsche Fußball-Bund (DFB) wollte dazu keine Stellung nehmen. Aus der DFB-Zentrale hieß es lediglich, das BKA-Papier enthalte bekannte Sachverhalte und bedeute keine neue Sicherheitslage.

Vergangene Woche hatte BKA-Präsident Holger Münch im Interview mit dieser Redaktion hervorgehoben, dass es bisher keine „konkreten Hinweise auf einen terroristischen Anschlag während der EM“ gebe. Und doch sind Veranstalter, Behörden und die Teams alarmiert. Erst vor eineinhalb Wochen hatte Nationalmannschaftsmanager Oliver Bierhoff gesagt, nach den Pariser Anschlägen vom vergangenen November seien die Sicherheitsmaßnahmen für die EM noch einmal merklich ausgeweitet worden. Die Veranstalter von der Uefa halten es auch für möglich, dass nach Terrorwarnungen Spiele nachgeholt würden – dann ohne Zuschauer.

Dschihadisten haben bisher selten Stadien attackiert

Terrorismus-Experten wie der norwegische Forscher Petter Nesser halten Angriffe vor allem durch den IS während der EM für möglich. „In der Vergangenheit gab es allerdings relativ wenig Terrorakte in Stadien“, sagt Nesser dieser Redaktion. Er hebt hervor: „Bei der Angriffsserie im November in Paris war die Attacke direkt am Stadion aus Sicht der Terroristen mit einem toten Zivilisten am wenigsten erfolgreich.“ Dies könne dazu führen, dass Dschihadisten abseitige und für die Polizei schwer vorhersehbare Ziele wählen könnten.

Die Besucher der EM müssen sich auf starke Sicherheitskontrollen einstellen. „Im Konzept der EM-Planer sind Sicherheitsinseln um Stadion, Trainingsgelände, Fanmeilen und Hotels eingeplant, also Korridore weit um die Stadien herum, zu denen nur noch Personen mit Tickets und Akkreditierungen Zugang haben“, sagt Dennis Pauschinger von der Universität Hamburg, der derzeit am Institut für Kriminologische Sozialforschung zu Sicherheitskonzepten bei Sportereignissen promoviert.

In Brasilien habe dies auch schon gegeben, Anwohner hätten teilweise extra Ausweise gebraucht, um in ihr Viertel zu kommen. „Trotz aller Maßnahmen muss klar sein: Absolute Sicherheit kann kein Staat gewähren.“ Zudem sei bei allen wichtigen Schutzmaßnahmen Vorsicht geboten, hebt Pauschinger hervor. „Neue Risiken entstehen durch massive Kontrollen, etwa lange Schlangen vor den Eingängen zum Stadion. Diese Menschenmengen sind dann völlig ungeschützt.“