Berlin. Das türkische Parlament hat die Immunität vieler Erdogan-kritischer Abgeordneter aufgehoben – aus dem Bundestag kommt scharfe Kritik.

Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) hat das Vorgehen des türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan gegenüber dem Parlament in Ankara scharf kritisiert. Er warf ihm mit Blick auf die geplante Aufhebung der Immunität vor allem von Abgeordneten der prokurdische Oppositionspartei HDP „autokratische Ambitionen“ vor. Erdogans Vorgehen setze „leider eine ganze Serie von Ereignissen fort, mit denen sich die Türkei immer weiter von unseren Ansprüchen an eine Demokratie entfernt“, sagte Lammert der „Süddeutschen Zeitung“ am Donnerstag.

Nach wochenlangem Streit hatte eine breite Mehrheit des türkischen Parlaments am Dienstag in einer ersten Runde für die Aufhebung der Immunität von mehr als einem Viertel der Abgeordneten gestimmt. Die nötige Zweidrittelmehrheit für eine direkte Verfassungsänderung zu diesem Zweck wurde jedoch nicht erreicht. Die entscheidende Abstimmung folgt am morgigen Freitag. Staatspräsident Erdogan hatte dazu aufgerufen, die Immunität der HDP-Abgeordneten aufzuheben. Er wirft ihnen vor, der „verlängerte Arm“ der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK im Parlament zu sein.

„Attacke auf parlamentarisch-demokratischen Strukturen“

Bundestagsvizepräsident Johannes Singhammer (CSU) sagte der „Süddeutschen Zeitung“, mit der geplanten Immunitätsaufhebung „überschreitet Erdogan den Rubikon“. Spätestens jetzt dürfe die Europäische Union keine Visumfreiheit für Türken mehr beschließen.

Lammert sagte, die Empörung über die neue Attacke Erdogans auf die parlamentarisch-demokratischen Strukturen in der Türkei könne nur erfolgreich sein, „wenn das Parlament sich auf dem Wege der Selbstentmachtung dazu bereitfindet“. Denn die dafür notwendige Mehrheit komme „nur dann zustande, wenn nicht nur die Abgeordneten der regierenden AKP zustimmen, sondern auch eine Mindestzahl an Abgeordneten anderer Fraktionen“. Deshalb sei jetzt der „Selbstbehauptungswille des türkischen Parlaments gefragt“. (dpa)