Washington. Pharmariese Pfizer will keine Produkte mehr für Hinrichtungen herstellen. 32 US-Staaten bekommen keine lizenzierten Giftcocktails mehr.

Die Wahrscheinlichkeit, dass die rund 3000 zurzeit noch in Amerika in Todestrakten einsitzenden Häftlinge einmal durch die Giftspritze ins Jenseits befördert werden, ist dramatisch gesunken. Als letzter großer Hersteller will auch der Pharma-Riese Pfizer den Vertrieb von sieben bei Exekutionen genutzten Substanzen aus ethischen Gründen so weit wie möglich unterbinden. Damit wird es für jene 32 von 50 Bundesstaaten, die der Todesstrafe gegen wachsenden Protest weiter die Treue halten, nahezu unmöglich, an staatlich geprüfte Chemikalien für die tödliche Injektion zu kommen.

Bei Gegnern der Todesstrafe traf die Nachricht von Pfizers Rückzug aus dem „Geschäft mit dem Tod“ auf gemischte Reaktionen. So sieht das „Death Penalty Information Center“ nun die Gefahr, dass Gefängnisse und Behörden noch mehr als bislang auf unausgegorene Medikamenten-Cocktails zweifelhafter Lieferanten setzen.

Export-Bann auf Narkosemittel

Hintergrund: 2011 hatte die Europäische Union einen Export-Bann auf jahrzehntelang genutzte Narkosestoffe wie Thiopental und Pentobarbital verhängt. Spätestens seitdem wird in einigen Bundesstaaten verstärkt auf „compounding pharmacies“ gesetzt. Das sind Apotheken, die Arzneien nach Rezeptur herstellen und nicht von der US-Arzneimittelzulassungsbehörde kontrolliert werden.

Von Bürgerrechtlern aktuell vor Gericht erstrittene Unterlagen belegen, welche Gewinnspannen hier erzielt werden können. So bot ein Hersteller in Kalifornien dem zuständigen Justiz-Ministerium 200 Gramm einer bestimmten Substanz an – für 500.000 Dollar. Um den Engpass zu umgehen, verließen sich einige Bundesstaaten sogar auf Giftcocktails unlizenzierter Hersteller aus Indien. Regelmäßig wurden zuletzt durch die Drogenfahndung (DEA) und die Lebensmittelbehörde (FDA) Lieferungen abgefangen.

Um welche Präparate es sich hier handelt, ob sie einwandfrei oder verschmutzt sind, unterliegt hohen Geheimhaltungsvorschriften, die von den jeweiligen Bundesstaaten erbittert vor Gericht verteidigt werden.

Pannen bei Hinrichtungen mit Schwarzmarkt-Produkten

Allein, die Konsequenzen von Schwarzmarkt-Produkten wurden bereits öffentlich. Die Hinrichtungen von Clayton Lockett (Oklahoma, April 2014) und Joseph Wood (Arizona, Juli 2014) lösten internationale Empörung aus. Was ihnen injiziert wurde, hatte nicht – wie in der amerikanischen Verfassung vorgeschrieben – zu einem schnellen, möglichst schmerzlosen Ende geführt. Die Männer rangen 40 Minuten und länger qualvoll mit dem Tod. Selbst Angehörige der Opfer der verurteilten Mörder wandten sich mit Schaudern ab.

Im Nachzug setzte es Klagen bis hin zum Obersten Gerichtshof in Washington. Das Ziel, „Chemie-Experimenten am lebenden Objekt einen Riegel vorschieben“, wie es Kritiker formulierten, wurde jedoch verfehlt. Im Sommer 2015 bestätigte der Supreme Court mit knapper 5:4-Mehrheit die Legalität der Giftspritze. Die Kläger, drei zum Tode verurteilte Männer, hätten es verabsäumt, eine weniger qualvolle Hinrichtungs-Methode aufzuzeigen, hieß es in der Begründung.

Da sehen sich etliche Bundesstaaten bereits weiter. Um den stetig sinkenden, aber immer noch stabilen Rückhalt in der Bevölkerung (50 Prozent plus x) für die „death penalty“ zu bewahren, sind etliche Alternativen für die Giftspritze bereits gesetzlich abgesegnet.

US-Bundesstaaten suchen Alternativen zur Giftspritze

Delaware, New Hampshire und Washington State erlauben (zusätzlich zur Spritze) den Strick. Arizona, Missouri und Wyoming gestatten den Einsatz von Gaskammern. Alabama, Arkansas, Florida, Kentucky, Oklahoma, South Carolina, Tennessee und Virginia halten als Reservelösung „Old Sparky“ bereit, den elektrischen Stuhl. In Oklahoma und Utah dürfte sogar per Kommando geschossen werden, wenn die immer knapper werdenden Giftbestände aufgebraucht sind.

Keine dieser in jüngster Zeit praktizierten Methoden gilt unter Medizinern und Juristen im Sinne der Verfassung als human. Bei der „Electrocution“ auf dem elektrischen Stuhl kann es zu schweren Verbrennungen kommen. Der Tod durch Erhängen dauert manchmal so lange wie ein Basketball-Spiel. Und Erschießungen tragen den Makel der Lynchjustiz aus Wildwest-Zeiten.

Todesstrafe wird zum Auslaufmodell

Menschenrechtsorganisationen wie „Reprieve“, die ein stärkeres bundesstaatliches Einschreiten gegen die „grauen Märkte für Medikamente für Exekutionen“ fordern, erhoffen sich durch die Absage des Pharma-Riesen Pfizer eine Konsolidierung des Trends: Die Todesstrafe in Amerika, der seit der Wiedereinführung 1976 bis heute rund 1440 Menschen zum Opfer fielen, wird immer mehr zum Auslaufmodell.

Wurden 1996 noch 315 Menschen exekutiert, so sank die Zahl 2015 auf den tiefsten Stand seit fast einem Vierteljahrhundert: 28. In diesem Jahr starben bisher 14 Menschen von Staats wegen. Der vorläufig letzte Todeskandidat, der durch die Spritze starb, war am vergangenen Donnerstag in Missouri der 66-jährige Dreifach-Mörder Earl Forrest.

160 fehlerhafte Todesurteile aufgehoben

Das Todesstrafen-Informationszentrum in Washington unter seinem engagierten Leiter Robert Dunham betont, dass seit 1973 – auch durch bessere Untersuchungsmethoden bedingt (DNA-Proben) – rund 160 fehlerhafte Todesurteile aufgehoben worden seien.

Die meisten Exekutionen in den USA verzeichnet mit weitem Abstand Texas. Dort sind von 1930 bis heute rund 1300 Menschen hingerichtet worden. Unter den 3143 Landkreisen in Amerika ist Harris County im Südosten von Texas mit über 120 Hinrichtungen seit 1976 die Nummer eins.

Spitzenreiter bei inhaftierten Todeskandidaten, die im Schnitt 13 Jahre auf die Vollstreckung warten müssen, ist Kalifornien mit 745; gefolgt von Florida (404) und Texas (276).

In diesen 18 Bundesstaaten existiert die Todesstrafe nicht: Alaska, Connecticut, Hawaii, Illinois, Iowa, Maine, Maryland, Massachusetts, Michigan, Minnesota, New Jersey, New Mexiko, New York, North Dakota, Rhode Island, Vermont, West Virginia, Wisconsin. Auch im District of Columbia mit der Hauptstadt Washington ist die „death penalty“ verboten.