Düsseldorf. Einen Tag vor der Wahl stach Frank S. Kölns OB ein Messer in den Hals. Nun hat Henriette Reker die Erlebnisse vor Gericht geschildert.

Der Weg durch den Saal zum Zeugenstuhl ist lang für Henriette Reker. Zehn, zwölf Meter nur, aber es sind die Sekunden, in denen die Kölner Oberbürgermeisterin auf den Mann zuläuft, der sie vor einem halben Jahr niederstach. Auf einem Marktplatz in Köln, einen Tag bevor die 59-Jährige ins höchste städtische Amt gewählt wurde. Aussagen soll sie an diesem kühlen Freitagmorgen im Hochsicherheitstrakt des Düsseldorfer Oberlandesgerichts, die Minuten des Schreckens noch einmal erzählen an diesem dritten Prozesstag.

Es ist der Tag eines ungeliebten, aber zwangsläufigen Wiedersehens. Rekers Blick bleibt fest, und Frank S. (44), der Anstreicher mit rechtsradikaler Vergangenheit und Verschwörungstheoretiker, der wegen versuchten Mordes aus politischen Motiven angeklagt ist, weicht diesem Blick nicht aus. Auch er bleibt ungerührt zwischen seinen beiden Verteidigern.

Neben Reker hatte er fünf weitere Menschen mit einem zweiten Messer teilweise schwer verletzt. Sie waren Reker zu Hilfe geeilt. „Ich hatte Angst, dass die mich lynchen wollten, deshalb habe ich sie mir vom Hals gehalten“, begründet er das. Er habe mit seinem Angriff auf die damalige Sozialdezernentin Reker ein Zeichen setzen wollen gegen die Fehler in der Flüchtlingspolitik. „Frau Reker wollte ich nicht töten, sondern nur verletzen“, hat er mehrfach beteuert. „Wenn ich sie hätte töten wollen, dann wäre sie jetzt tot, sie lag ja wehrlos vor mir.“

Oberbürgermeisterin bleibt bei Befragung ruhig und sachlich

„Die Konfrontation ist für mich kein Problem“, hat Henriette Reker kurz zuvor den Journalisten erzählt, und das Selbstbewusstsein nimmt sie mit in den Saal, wo sie der Vorsitzenden Richterin Barbara Havliza gegenübersitzt und den Attentäter einige Meter entfernt links hinter sich weiß. Sie schlägt die Beine übereinander, wippt eine Weile mit den lachsfarbenen Schnürschuhen, die sie zum blauen Hosenanzug trägt, dann wird sie ruhig, gefasst, nüchtern im Ton und klar in der Sache.

Um eine Rose hatte Frank S. sie an jenem Morgen am Wahlkampfstand gebeten, erinnert sich Reker, und sie hätte ihm ein Exemplar gereicht. „Er war freundlich und mir zugewandt“, sagt sie, „aber dann hat er in Sekundenschnelle ein Messer gezogen und mir in den Hals gestochen.“

Sie sei zu Boden gegangen, berichtet sie ganz unaufgeregt, habe gespürt, dass sie aus Mund und Nase blutete. Aber sie blieb offenbar ruhiger, als man es in einer solchen Situation erwarten würde. „Ich habe mich in eine stabile Seitenlage gebracht und einen Finger in die Wunde gesteckt, um die Blutung zu stoppen.“ Sie habe früher bei der Berufsgenossenschaft gearbeitet, „da hatte ich viel mit Arbeitsunfällen zu tun und habe mir einiges davon gemerkt.“

Reker war bis zur Operation bei Bewusstsein

Der Schmerz sei stark gewesen, vor allem auf der Fahrt ins Krankenhaus, in einem Fahrzeug, das schlecht gefedert gewesen sei. „Ich war die ganze Zeit bei Bewusstsein“ bis zur Betäubung vor der Operation, erinnert sich Reker. Sie habe den Ärzten sogar noch gesagt, dass sie morgen unbedingt wählen wolle und zu einer Preisverleihung nach Frankfurt müsse. „Die haben natürlich mit den Augen gerollt.“ Richterin Barbara Havliza lächelt freundlich bei diesem zarten Anflug von Humor, sie fragt professionell, lässt aber immer wieder durchblicken, dass sie darum weiß, wie schwierig diese Stunde für Reker ist.

Doch die parteilose Politikerin schlägt sich tapfer und antwortet ohne je zu stocken, auch als sie über ihre Ängste spricht, die sie an diesem Samstag im letzten Oktober beschlichen. „Ich hatte große Sorge, dass ich gelähmt sein könnte, man weiß ja, was alles passieren kann, wenn man in den Hals gestochen wird“, erzählt sie und fügt hinzu: „Ich hab’ sogar gedacht, mit einem Rollstuhl komme ich doch gar nicht in mein Badezimmer rein.“

Reker steht Nachoperation bevor

Einen Moment lang habe sie geglaubt, der Mann hätte ihr die Kehle durchgeschnitten, es habe „wie ein Synonym für eine Hinrichtung“ gewirkt. Ein Gedanke, der sie seither in einem wiederkehrenden Albtraum verfolge. „Ich träume von meiner Hinrichtung, bis zu dem Augenblick, wo sie mir die Kapuze über den Kopf ziehen.“ Ein Satz, der selbst bei der routinierten Richterin eine kaum merkliche Pause erzwingt.

Psychologische Betreuung habe man ihr natürlich angeboten, fährt Reker fort. „Aber ich habe das abgelehnt, und die Ärzte haben gemerkt, dass ich eine robuste Person bin und das alles verkraften werde.“

Einige Wochen verbrachte sie im Krankenhaus, man habe ihr versichert, dass sie großes Glück gehabt hätte, das Messer hatte immerhin ihre Luftröhre durchtrennt, der Schnitt sei extrem glatt gewesen, das Messer wohl sehr scharf. Schmerzen habe sie heute nicht mehr, erklärt Reker, „aber im Hals habe ich nach langem Reden das Gefühl, da steckt eine große Tablette fest.“ Eine kleine Nachoperation soll auch das regeln.

Noch nicht die richtige Situation für entschuldigende Worte

Ob sie in den Tagen ihrer Genesung daran gedacht hätte, das Amt nicht anzutreten, will Havliza wissen, auch da bleibt Reker bestimmt und zögert keinen Augenblick: „Das habe ich nicht“, sagt sie, „mir war nur wichtig, in welcher Verfassung ich das Amt antrete.“ Sie sei auch nicht misstrauischer geworden und habe keine Angst vor Menschenmengen, beteuert die Oberbürgermeisterin, bevor die Befragung endet.

Dann aber meldet sich der Kölner Verteidiger Christof Miseré doch noch zu Wort. Er wolle sie nicht befragen, sagt er vorsichtig, aber er wolle wissen, ob sein Mandant ein paar entschuldigende Worte vorlesen dürfe. Reker blickt kurz nach links und dann bricht die Stimme zum ersten Mal, als sie leise sagt: „Ich glaube, das ist noch nicht die richtige Situation.“

Der 44-jährige Angeklagte aus Köln hat die Tat bereits gestanden. Ihm droht wegen versuchten Mordes lebenslange Haft. (dpa)