Graz/Berlin. Österreich will den Flüchtlingszustrom begrenzen und hat deshalb Grenzkontrollen am Brenner verstärkt. Das gefällt den Nachbarn nicht.

Österreich macht ernst: Die Grenzkontrollen am Brennerpass, einem der wichtigsten Nadelöhre im europäischen Straßenverkehr, stehen kurz bevor. Sie sollen abhängig vom Flüchtlingsandrang beginnen und könnten jederzeit starten, sagte der Tiroler Landespolizeidirektor Helmut Tomac am Mittwoch. Derzeit bestehe aber keine Notwendigkeit hierzu. Außerdem würden Vorbereitungen für einen 370 Meter langen Maschendrahtzaun an dem österreichisch-italienischen Grenzübergang getroffen. „Wir bemühen uns, alles zu unternehmen, um den Verkehr so flüssig wie möglich zu halten“, betonte Tomac. Österreich rechnet in den nächsten Wochen mit steigenden Flüchtlingszahlen aus Italien.

Die Kontrollen werden nach Angaben der Polizei sowohl die Autobahn als auch die Bundesstraße betreffen. Auch der Zugverkehr werde in die Maßnahmen einbezogen, hieß es. „Es wird dadurch im Zugverkehr zu erheblichen Verzögerungen kommen“, erklärte Tomac. Für Personen- und Sichtkontrollen sollen im Bedarfsfall die vier Autobahnspuren geteilt werden. Es gelte dann Tempo 30.

Ausgerechnet Europas meistbefahrene Transitstrecke ist dicht

Der Brenner ist Europas meistbefahrene Transitroute. Heute überqueren pro Jahr sechs Millionen Autos und zwei Millionen Lastwagen den Pass zwischen Tirol und Südtirol. Mit seinen 1372 Höhenmetern zählt der Brenner zu einem der niedrigsten Alpenübergänge und ist daher das ganze Jahr befahrbar. Bislang galt er als ein Symbol des freien europäischen Binnenverkehrs im Rahmen des Schengensystems.

Hintergrund der Grenzkontrollen ist das Ziel der rot-schwarzen Koalition in Wien, in diesem Jahr möglichst nicht mehr als 37.500 Asylbewerber ins Land zu lassen. Österreich erwartet von Italien, dass es das „Durchwinken“ von Migranten Richtung Norden beendet. Der Regierung in Rom war in der Vergangenheit immer wieder vorgeworfen worden, Migranten, die meist über das Mittelmeer nach Italien kamen, ohne Registrierung durchzulassen.

Italienische Regierung spricht von „dreistem Vorstoß“

Italien übte scharfe Kritik an den geplanten Maßnahmen. Die aktuellen Flüchtlingszahlen seien geringer als befürchtet, unterstrich Regierungschef Matteo Renzi. „Das alles bestätigt, dass die Hypothese, den Brenner zu schließen, ein dreister Verstoß gegen die europäischen Regeln, gegen die Geschichte, gegen die Logik und gegen die Zukunft ist.“ Österreichs neuer Innenminister Wolfgang Sobotka (ÖVP) wird am heutigen Donnerstag zu Gesprächen mit seinem italienischen Amtskollegen Angelino Alfano in Rom erwartet. Am Freitag will Sobotka nach Deutschland reisen, um den deutschen Innenminister Thomas de Maizière zu treffen.

Der ADAC rechnet bei Grenzkontrollen am Brenner während der Sommerferien mit Wartezeiten für Autofahrer von bis zu zwei Stunden. Ende Juni werde es die erste große Rückreisewelle von Sommerurlaubern geben, betonte der Verkehrsexperte Andreas Hölzel in München. Alternativrouten zur Brennerstrecke gibt es kaum, da die Straßen mitten durch die Berge meist deutlich länger, klein und kurvig sind. Ausweichen könnte man im Osten über Salzburg, im Westen über die Schweiz, was vor allem für Reisende Richtung Köln, Stuttgart oder Frankfurt interessant ist.

Die Wirtschaft sieht die geplanten Grenzkontrollen ebenfalls mit großer Sorge. Am Brenner drohe den Transportunternehmen ein Millionenschaden, sagte der Leiter der Bundessparte Transport und Verkehr bei der Wirtschaftskammer Österreich (WKO), Alexander Klacska. So könnten die Wartezeiten und Staus die Logistikbranche pro Tag eine Million Euro kosten.

Nicht nur Grenzkontrollen, auch Asylpolitik verschärft

Auch die Asylpolitik wird in Österreich drastisch verschärft. Das Land kann künftig einen „Notstand“ ausrufen. Als Folge hätten Schutzsuchende kaum mehr eine Chance auf Asyl. Das ist die Konsequenz der Novellierung des Asylrechts, die das österreichische Parlament am Mittwochabend mit deutlicher Mehrheit beschlossen hat. Der „Notstand“ wird definiert als Gefährdung der öffentlichen Ordnung und inneren Sicherheit.

In diesem Fall würden nur noch Asylanträge von bestimmten Flüchtlingen angenommen. Dazu gehören Menschen, die in Österreich enge Verwandte haben, unbegleitete Minderjährige und Frauen mit Kleinkindern. Alle anderen würden in die Nachbarländer abgeschoben. Ein „Notstand“ ist zunächst auf sechs Monate begrenzt, kann aber auf bis zu zwei Jahre verlängert werden. Außerdem wird die zulässige Verfahrensdauer bei Asylanträgen von sechs auf 15 Monate verlängert.

Hilfsorganisationen befürchten Ausweichen auf andere Fluchtrouten

Die Novelle stieß vor allem bei Hilfsorganisationen auf Kritik. „Asyl auf Zeit“ sei ein „Integrationshindernis“, sagte der Vorsitzende der katholischen Caritas. „Wenn Frauen und Kinder nicht mehr legal einreisen können, besteht die Gefahr, dass diese besonders schutzbedürftigen Menschen lebensgefährliche und illegale Fluchtwege benutzen“, rügte der Generaldirektor der Organisation. Der Völkerrechtler Wolfgang Benedek zog in Zweifel, dass die Notverordnung überhaupt wirksam werden könne.

Seit Schließung der Balkanroute tauchten Flüchtlinge nicht mehr an der Grenze auf, sondern würden von Schleppern direkt ins Land gebracht. Stellen sie dort einen Asylantrag, muss er nach den Regeln der Genfer Flüchtlingskonvention auch bearbeitet werden. Weiterschicken in ein anderes EU-Land ist nach den Regeln des Dublin-Abkommens nur dann möglich, wenn klar ist, wo der Flüchtling EU-Boden zuerst betreten hat.

Kritiker sehen die harte Linie Wiens vor dem Hintergrund des Aufstiegs der rechtspopulistischen FPÖ, die den Zuzug von Ausländern stoppen will. FPÖ-Kandidat Norbert Hofer hatte die erste Runde der Bundespräsidentenwahl am Sonntag mit deutlichem Abstand gewonnen.