Berlin. Angela Merkel hat in aller Stille schriftlich auf Seehofers Mahnbrief geantwortet. Für den CSU-Chef sind Merkels Antworten zu vage.

Eine delikate Sache, dieser Brief. Noch am Samstag – auf dem Rückflug aus der Türkei – ließ sich Angela Merkel dazu kein Wort entlocken. Kein Sterbenswörtchen. Die Kanzlerin lächelte nur vielsagend, wohlwissend, dass das dreiseitige Schreiben an den lieben Horst schon seit Donnerstag im Briefkasten der Staatskanzlei lag – Franz-Josef-Strauß-Ring 1, 80539 München. Möglich, dass der Adressat nicht gleich davon Notiz genommen hat. Oft genug hatte der Ministerpräsident und CSU-Chef Horst Seehofer in den letzten drei Monaten erklärt, dass er nicht jeden Tag „zuallererst an den Briefkasten“ gehe. Und jetzt? Ließ er die Antwort erst mal liegen. „Es ist nicht so, dass bei uns große Hektik ausbricht, wenn aus dem Kanzleramt ein Brief eingeht“, spöttelte Seehofer, „die Beamten werten es bereits aus.“ Im Laufe der Woche werde er zum Lesen kommen. Der Krampf geht weiter.

Am 26. Januar hatte die bayerische Staatsregierung in einem langen Schreiben das Kanzleramt förmlich um eine rechtliche Bewertung der Flüchtlingspolitik ersucht. Nicht zuletzt von Merkels Antwort hängt es ab, ob Seehofer seine Drohung wahr macht und nach Karlsruhe zieht. Eine Verfassungsklage behält sich der Ministerpräsident vor. Er wird sich mit einer Entscheidung Zeit lassen, eine Klage frühestens im Juni beim Verfassungsgericht einreichen.

In den rechtlichen Passagen hinreichend vage

Merkel spannte Seehofer drei Monate lang auf die Folter, um dann eine Antwort zu Papier zu bringen, die nur halb so lang wie Seehofers Schreiben und in den rechtlichen Passagen hinreichend vage ist. Er höre, so Seehofer, dass zu den zentralen Argumenten „relativ wenig gesagt wird“. Zum Beispiel nicht zu der Forderung, „unverzüglich“ Grenzkontrollen einzuführen.

Den Brief aus Bayern hatte Seehofer seinerzeit veröffentlicht – für Merkel eine Zumutung. Mit dem Hinweis auf das Briefgeheimnis schweigt sich die Bundesregierung jetzt aus. Selbst CSU-Landesgruppenchefin Gerda Hasselfeldt, die mit der Kanzlerin harmoniert und für sie im Berliner Alltag ein Scharnier zwischen den Schwesterparteien ist, weihte sie in den Brief nicht ein.

Neben Lob für die bayerische Flüchtlingshilfe weist die Kanzlerin in dem Brief den Vorwurf zurück, der Bund habe bei seiner Flüchtlingspolitik das Gesetz missachtet, beziehungsweise nichts zur Reduzierung der Flüchtlingszahl unternommen. Die Bundesregierung verfolge das Ziel einer nachhaltigen Lösung der Flüchtlingskrise, schreibt Merkel. Dazu seien auf nationaler, europäischer und internationaler Ebene Schritte unternommen worden: Die Londoner Konferenz, in der Hilfen zur Flüchtlingsbetreuung vereinbart wurden, oder das Abkommen mit der Türkei. Dadurch würde den Schleusern in der Ägäis die Geschäftsgrundlage entzogen und die illegale Migration nach Europa maßgeblich reduziert.

Seehofer kann Merkel nicht zu Kurswechsel zwingen

Gerade der Deal mit der Türkei ist eine Erklärung dafür, warum sich Merkel viel Zeit mit dem Brief genommen hat. Die Türkei war von Anfang an das Schlüsselland in ihrem Krisenmanagement. Anfang Januar konnte sie noch nicht abschätzen, ob ihre Strategie erfolgreich sein würde. Sie hat gewartet, bis sie sich sicher sein konnte und bis nicht Tausende wie im letzten Herbst, sondern weniger als 100 Flüchtlinge am Tag nach Deutschland kommen. Gefahr ist nicht in Verzug. Die außenpolitische Zuständigkeit des Bundes steht außer Frage. Wogegen sollte Bayern klagen? Wie ein Papiertiger darf Seehofer aber auch nicht aussehen.

Der Gutachter der Staatsregierung, der frühere Verfassungsrichter Udo Di Fabio, wird prüfen müssen, an welchem Hebel er ziehen kann, um Merkels Flüchtlingspolitik verfassungsrechtlich überprüfen zu können. Beinahe schlimmer als ein negativer Richterspruch wäre es, wenn das Verfassungsgericht die Klage gar nicht erst annehmen würde. Und wenn doch? Dann dürfte sich eine Entscheidung bis ins Wahljahr 2017 hinziehen, und das Ergebnis könnte alle Unionswahlkämpfer zurückwerfen.

CSU-Chef Seehofer ist seit Langem klar, dass er Merkel nicht zum Kurswechsel zwingen kann. Seine Enttäuschung hält an, die ganze Richtung passt ihm nicht. Er könne vor dem Gesamtpaket nur warnen, sagte er der CSU-Parteizeitung „Bayernkurier“ zum Türkei-Deal. Seehofer sieht vor allem die geplante Visafreiheit für türkische Staatsbürger skeptisch: Das könne dazu führen, dass „innertürkische Probleme“ nach Deutschland „importiert“ werden. Vergessen ist nichts, verziehen auch nicht. Nach Angela Merkels Brief.