Berlin. Jugendliche sind so wenig rebellisch wie noch nie seit der Nachkriegszeit, zeigt eine neue Studie. Sie sehnen sich nach Geborgenheit.

Strebsam, pragmatisch und fast schon überangepasst: Noch nie seit der Nachkriegszeit ist die Jugend in Deutschland so wenig rebellisch wie heute gewesen. Statt sich Jugend-Subkulturen anzuschließen, stehen sie für etwas, das für junge Leute früher ein Schimpfwort war: Mainstream. Das ist ein Hauptergebnis der neuen Sinus-Jugendstudie, die Sozialwissenschaftler am Dienstag in Berlin vorstellten. „Sein wie alle“ gelte für viele Jugendliche als cool, ob beim Musikgeschmack, Klamotten oder Kino, sagt Studienautor Marc Calmbach. Die Sehnsucht nach Geborgenheit und Orientierung in einer zunehmend unübersichtlichen Welt lasse Teenager eine ungewöhnlich große Nähe zur Elterngeneration suchen, lautet eine Erklärung dafür.

Jugendliche in Deutschland lebten zwar nach wie vor in unterschiedlichen Lebenswelten, „aber sie rücken in mehrfacher Hinsicht zusammen“. Eine Mehrheit sei sich einig, „dass gerade in der heutigen Zeit ein gemeinsamer Wertekanon von Freiheit, Aufklärung, Toleranz und sozialen Werten gelten muss“, heißt es in der Studie. Dieser garantiere das „gute Leben“, das man in Deutschland habe. Diese Haltung gelte auch für Jugendliche mit Migrationshintergrund.

Religiöse Toleranz eint die Jugendlichen

Zu weiteren Ergebnissen zählt, wie sehr Teenager das Thema Flüchtlinge interessiert und wie tolerant die meisten der Zuwanderung gegenüberstehen. Ausländerfeindlichkeit oder die Ablehnung des Islam als Religion waren den meisten Teenagern fremd. Eine deutliche Mehrheit sprach sich für die Aufnahme von Flüchtlingen aus – so lange es nicht zu viele werden, um sie zu integrieren.

Auch religiöse Toleranz sowie die Ablehnung von Gewalt eint die befragten Jugendlichen aus allen Bildungsschichten. Besonders zu spüren sei die Distanzierung vom radikalen Islamismus bei Muslimen, sagt Calmbach. „Im Ergebnis sehen wir ein Zusammenrücken der jungen Generation“, ergänzt Jugendforscher Klaus Hurrelmann.

Jugendliche fühlen sich digital gesättigt

Gewundert hat die Forscher, dass junge Leute zunehmend ein wenig online-müde werden. Aus der Sicht der Jugendlichen sei der Höhepunkt der digitalen Durchdringung erreicht, die als jugendtypisch angesehene bedingungslose Faszination sei geschwunden, heißt es in der Studie. Erstmals wünschen sich die Heranwachsenden sogar Entschleunigung. Die Risiken der digitalen Medienwelt seien ihnen bewusst, dennoch wollen Jugendliche die digitalen Medien noch mehr verstehen. Von ihren Lehrern wünschen sie sich deshalb weniger gefahrenzentrierten Unterricht, dafür mehr praktische Hilfestellung.

Die zentrale Funktion der digitalen Medien ist für Jugendliche die Pflege und Aufrechterhaltung von Bekanntschaften und Freundschaften: Wer nicht online ist, steht außen vor – sowohl beruflich als auch privat.

Studie setzt auf inhaltliche Tiefe durch Interviews

Unter dem Titel „Wie ticken Jugendliche 2016“ haben Jugendforscher im vergangenen Jahr zum dritten Mal seit 2008 14- bis 17-Jährige nach ihren Meinungen und Gefühlen zu den Themen „Digitale Medien und digitales Lernen“, „Mobilität“, „Umweltschutz, Klimawandel und kritischer Konsum“, „Liebe und Partnerschaft“, „Glaube und Religion“ sowie „Geschichtsbilder“ befragt.

Die Ergebnisse der Studie basieren auf langen und persönlichen Interviews mit 72 Teenagern aus verschiedenen Milieus, erläuterte Projektleiter Calmbach. Die Forschung schätzt diese Methode wegen ihrer Tiefenschärfe als seriös ein.

Auftraggeber waren die Bundeszentrale für politische Bildung, der Bund der Deutschen Katholischen Jugend (BDKJ), die Arbeitsstelle für Jugendseelsorge der Deutschen Bischofskonferenz, die Deutsche Kinder- und Jugendstiftung (DKJS) und der Verband Deutscher Verkehrsunternehmen. (dpa/epd/jkali)