Berlin. Barack Obama war mit viel Euphorie in das Präsidentenamt gestartet und hatte in Deutschland überzeugt. Das sieht nun ganz anders aus.

Was für ein Unterschied. Als der US-Präsidentschaftskandidat Barack Obama im Juli 2008 seine Rede an der Berliner Siegessäule hielt, lag ihm die Welt zu Füßen. 200.000 Anhänger jubelten damals dem jugendlichen Senator aus Chicago zu. Es war die Euphorie, dass nach den Jahren der amerikanischen Interventionskriege unter George W. Bush ein neuer Geist in den europäisch-amerikanischen Beziehungen einkehren werde. Ein Geist der multilateralen Partnerschaft. Als Anti-Bush wurde Obama zum Hoffnungsträger, Heilsbringer, zu einer Art Polit-Messias.

Dass nicht nur die Deutschen von immens hohen Erwartungen erfasst wurden, beweist die Verleihung des Friedensnobelpreises 2009 an den frischgebackenen US-Präsidenten. Selten wurde ein Politiker derart mit Vorschusslorbeeren überhäuft wie Obama.

Eine Wirklichkeit aus Baustellen

Heute sitzt der Chef des Weißen Hauses auf einem Haufen zerbrochener Illusionen. Auch im Verhältnis zu Bundeskanzlerin Angela Merkel ist Nüchternheit eingekehrt. Eine herzliche Beziehung hatten die beiden nie, auch wenn 2010 und 2011 eine von Respekt getragene Hochphase herrschte. Der kühl kalkulierenden Kanzlerin sind Charismatiker und Visionäre eher suspekt. Trotz des Schönwetter-Auftritts am Sonntag in Hannover: In Wirklichkeit bestehen die deutsch-amerikanischen Beziehungen heute aus einer Vielzahl von Baustellen. Die seit 2013 andauernden Gespräche über das Transatlantische Freihandelsabkommen TTIP treten auf der Stelle. Die Amerikaner – heißt es in Brüssel – verhandeln mit harten Bandagen und versuchen, ihre Interessen durchzuboxen.

In der Flüchtlingskrise überschüttet Obama Merkel zwar mit Lob. Aber bei der Aufnahme von Migranten hält sich Amerika vornehm zurück. Dabei war die Supermacht maßgeblich an den aufflammenden Krisenherden beteiligt. Im Irak und in Afghanistan durch Bushs Invasionen, in Libyen und Syrien eher durch Obamas halbherziges Engagement.

Amerika nicht mehr die große Ordnungsmacht

Obamas Strategie bestand von Anfang an im Rückzug aus den gefährlichen Brennpunkten dieser Welt. Aus dem Über-Engagement Bushs wurde ein Unter-Engagement. Dieses Vakuum wird nun – siehe Syrien – durch Spieler wie Russland, den Iran, die Türkei oder Saudi-Arabien ausgefüllt.

Die Ergebnisse bekommt Deutschland direkt zu spüren. Die Flüchtlingsströme aus Nahost und Nordafrika sind auch deshalb so stark geworden, weil Amerika sich weigerte, als Ordnungsmacht einzugreifen.

Der US-Präsident schaut auf die Heimat

Sieht man von den historischen Abkommen mit dem Iran und mit Kuba ab, ist Obama über weite Strecken ein Reparaturpräsident. Sein Fokus lag in einem Kurs der außenpolitischen Selbstbescheidung. Innenpolitisch wollte er vor allem die Scherben der Finanzkrise zusammenkehren, die durch die maßlose Politik des billigen Geldes unter seinem Vorgänger ausgelöst worden war. Doch hinter Obamas Linie liegt auch ein grundsätzlicher Gezeitenwechsel. „Nach Ende des Zweiten Weltkrieges verfolgten die USA eine gemeinsame Politik mit ihren europäischen Verbündeten. Nach den Terroranschlägen des 11. September 2001 hat sich Amerika auf sich selbst fokussiert“, sagte John Kornblum, ehemaliger US-Botschafter in Deutschland, unserer Redaktion. Obama folgt diesem Trend.

Unter den US-Präsidenten George H.W. Bush und Bill Clinton war dies noch anders. Beide hatten auch persönlich einen engen Draht zu Kanzler Helmut Kohl. Zudem engagierten sie sich stark in Europa – Bush senior förderte die deutsche Wiedervereinigung, Clinton beendete durch das Dayton-Abkommen 1995 den Bürgerkrieg in Bosnien.

Der neue Pragmatismus Amerikas wird sich sehr wahrscheinlich auch unter Obamas Nachfolger(in) fortsetzen. Der Appetit, als globale Führungsmacht aufzutreten, dürfte sich in Grenzen halten. Der beste Schutz gegen Desillusionierung lautet: Erwartungen herunterschrauben, realistisch bleiben. Alles andere wäre Nostalgie.