Berlin. Christian Lindner hat die Liberalen aus dem Tief geführt. Dieselben Leute, die gespottet haben, kommen nun zum Gratulieren zur FDP.

„Bist du eigentlich bekloppt, für diesen Laden zu arbeiten?“ Zwei Jahre lang hat sich Marie-Agnes Strack-Zimmermann solche Fragen angehört, nach dem „Schock“ vom 22. September 2013, als die FDP aus dem Bundestag geflogen war. „Wir waren die Schmuddelkinder der Republik.“ Jetzt ist auf einmal alles anders: Das Telefon klingelt wieder, die Lobbyisten melden sich zurück, „Ihr Liberalen fehlt“, hört die 58-jährige FDP-Vizechefin heute von denselben Leuten, die gerade noch Häme und Spott über die Partei ausgegossen haben.

Um zu ermessen, was sich bei der FDP verändert hat seit jenem Wahlabend 2013, als die einen versteinert auf die Hochrechnungen schauten, die anderen weinten und die Dritten wortlos nach Hause gingen – um das zu ermessen, muss man an diesem Sonnabend in die Gesichter der Liberalen schauen, die zum 67. Bundesparteitag nach Berlin gekommen sind: So sieht Zuversicht aus.

Der Rauswurf aus dem Bundestag, das unglückliche Spitzenduo mit Rainer Brüderle und Philipp Rösler, das innerparteiliche Gemetzel und die umstrittene Klientelpolitik – das liegt hinter ihnen. Die FDP liefert eine neue Erzählung – griffig wie ein Hollywoodstoff: Es ist die Geschichte vom tiefen Fall und vom hart erkämpften Aufstieg, von einer Truppe, die sich gegen alle Erwartungen am eigenen Schopf aus dem Schlamassel zieht.

Auch in schwierigen Zeiten hatte Lindner schon Einfluss

Die Verlierer von 2013 sind von der Bildfläche verschwunden, die großen Ikonen verstorben und Christian Lindner, der 37-jährige Parteichef (bei dem man schnell vergisst, dass er als Generalsekretär auch vor 2013 schon Einfluss hatte), ist dabei, die Liberalen wieder über die Fünf-Prozent-Hürde zu führen. Das ist die neue FDP-Story. Es ist über weite Strecken eine One-Man-Show, aber sie gefällt vielen.

Eine aktuelle Umfrage sieht die Liberalen erstmals seit 2010 wieder bei acht Prozent. Und: Sie regieren wieder. In Rheinland-Pfalz haben sich SPD, FDP und Grüne auf eine Ampelkoalition geeinigt. „Vor einem Jahr hätte uns das niemand zugetraut“, sagt FDP-Generalsekretärin Nicola Beer. Die Liberalen sind selbstbewusster geworden, doch bis zur Bundestagswahl sind es noch anderthalb Jahre. Viel Zeit, um wieder vergessen zu werden – oder um nervös zu werden und Fehler zu machen. „Solide bleiben, nicht übermütig werden“, ermahnt Beer ihre Partei. „Wir haben noch eine lange Strecke vor uns.“ Die Länderwahlen im September in Berlin und im Mai 2017 in Nordrhein-Westfalen sind deswegen wichtig: Schon, um im Gespräch zu bleiben.

CDU und SPD bremsen wie die Mafia

In der Hauptstadt will Sebastian Czaja, Berliner FDP-Generalsekretär, die Liberalen nach fünf Jahren wieder zurück ins Abgeordnetenhaus führen. Weil er sich für den Erhalt von Tegel einsetzt und damit vielen Berlinern aus dem Herzen spricht, stehen die Chancen nicht schlecht. „Hier zeigt die FDP, dass sie die einzige Kraft der Vernunft in der Metropole ist“, ruft Lindner den Delegierten auf dem Bundesparteitag in Berlin zu. Und stichelt weiter: In einer Umfrage zum Thema effiziente Verwaltung liege Berlin unter 79 europäischen Städten auf dem fünftletzten Platz, knapp vor Rom, Neapel und Palermo. „Was da die Mafia bremst, erledigt in Berlin der schwarz-rote Senat.“

Czajas Auftritt beim Parteitag in der „Station“ am Gleisdreieck allerdings hätte besser laufen können: Statt sich seiner Partei als Redner vorzustellen, der Wahlen gewinnen will, bringt Czaja den Delegierten ein konventionelles Werbefilmchen mit – der Applaus ist allenfalls höflich.

FDP ehrt die Verstorbenen Parteigrößen

Am Samstag blickt die Partei jedoch erst einmal zurück – auf die Ära von Hans-Dietrich Genscher, auf den Abschied von Guido Westerwelle. Während der eine unumstritten ist, ringt die FDP bei Westerwelle noch mit der Deutung. „Guido konnte laut sein und er konnte sprechen, deshalb haben viele ihn für einen Lautsprecher gehalten“, sagt Lindner. Aber durch ihn sei die Stimme der Liberalen unüberhörbar gewesen.

Kämpferisch, humorvoll, ohne Scheu, auch mal billige Siege einzufahren – so stimmt Lindner seine Partei im Anschluss mit seiner Grundsatzrede auf die kommenden Monate, die letzte Wegstrecke bis zur Bundestagswahl ein. Fertig geschrieben hat er sie erst in der Nacht zum Samstag – und bietet viel Balsam für die liberale Seele: „Wir lassen uns niemals wieder zu einer reinen Funktionspartei machen, weil wir eine Überzeugungspartei sind“, ruft Lindner. Die Union dagegen? Frage sich nur noch angstvoll, mit welcher Politik sie die AfD klein halten könne. „So macht man die doch erst zu einem politischen Faktor.“

„Keine Regierung, sondern Reagierung“

Und die SPD? Im Prozess der „Selbstverzwergung“. Die Koalition laufe nur noch den Problemen hinterher. „Wir haben keine Regierung mehr, sondern nur noch eine Reagierung.“ Mit Blick auf die neue Debatte um die Rente warnt Lindner: Es dürfe sich nicht wiederholen, „dass Stimmen gekauft werden aus der Rentenkasse“. Die FDP fordert stattdessen einen individuellen Rentenbeginn und bessere private Vorsorgemöglichkeiten.

Mit ihrem Parteitagsmotto haben sich die Liberalen keinen Gefallen getan: „Beta Republik Deutschland“ heißt es – und Parteichef Lindner braucht mehrere Minuten, um zu erklären, was gemeint ist. Es soll eine Anspielung auf die „Beta-Versionen“ bei der Softwareentwicklung sein, auf Prototypen, auf den Mut zur Erneuerung. Selbst in den eigenen Reihen schütteln viele den Kopf. „Das versteht doch kein Mensch.“