Berlin. Vor dem Obama-Besuch am Sonntag gingen am Samstag Zehntausende Menschen in Hannover gegen das Freihandels-Abkommen TTIP auf die Straße.

Mehrere Zehntausend Menschen haben am Samstag in Hannover gegen die umstrittenen Freihandelsabkommen TTIP und CETA demonstriert. Die Veranstalter sprachen von 90.000 Teilnehmern, die Polizei nannte 30.000 Demonstranten. Zwei Kundgebungen auf dem überfüllten Opernplatz und der Demonstrationszug verliefen ohne Zwischenfälle, sagte eine Polizeisprecherin. Zu den Protesten hatten mehr als 130 Umwelt- und Verbraucherschutzorganisationen, Wohlfahrtsverbände, Gewerkschaften und kirchliche Organisationen aus dem gesamten Bundesgebiet aufgerufen.

Die Demonstration hatte das Motto „Merkel & Obama kommen – TTIP & CETA stoppen – Für einen gerechten Welthandel“. US-Präsidenten Barack Obama und Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) wollen am Sonntag gemeinsam die Hannover-Messe eröffnen. In ihrer wöchentlichen Videoansprache verteidigte Merkel am Samstag die Geheimhaltung bei den TTIP-Verhandlungen. Es könne nicht alles „bereits im Vorfeld für jedermann zugänglich sein“, wenn man bei Verhandlungen auch Interessen durchsetzen wolle. Daraus würden die Verhandlungspartner „bestimmte Vorzüge ziehen – was wir nicht wollen“. Die Bürger dürften aber nicht den Eindruck bekommen, „wir würden hier irgendetwas verschweigen oder wir würden irgendwelche Normen zur Disposition stellen“. Alles, was in Europa als Norm gelte, sei gesichert, betonte sie. „Wir gehen nicht hinter unsere Standards zurück.“

„Gnadenlose Ökonomisierung der Welt“

Bei der Demonstration trugen viele Teilnehmer Plakate und Papptafeln mit Aufschriften wie „Nein zu TTIP“ oder „Stop TTIP! Yes, we can“. Auf anderen Transparenten hieß es „Lobbys und Konzerne haben TTIP gerne“, „TTIP und CETA braucht kein Mensch“ oder „Von den Warenwerten zu den wahren Werten“.

„Wir befinden uns im Prozess der gnadenlosen Ökonomisierung der Welt“, sagte der Vorsitzende des Bundes für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND), Hubert Weiger. „Dieser Prozess dokumentiert sich in den geplanten Freihandelsabkommen.“ Jürgen Knirsch von der Umweltschutzorganisation Greenpeace sagte, TTIP sei „ein Angriff auf die Demokratie“ und führe zur Absenkung europäischer Schutzstandards für Landwirtschaft und Gentechnik: „Wir halten dieses Handelsabkommen nicht für nötig, um den Handel zu erleichtern und fordern das Ende der Verhandlungen.“

Weitere Kundgebungen für Sonntag geplant

Der stellvertretende Vorsitzende der Linkspartei, Tobias Pflüger, bezeichnete TTIP als „so etwas wie eine Wirtschafts-Nato“. Er forderte, „weiter Druck von unten“ zu machen, um ein Inkrafttreten der Abkommen zu verhindern. Die Grünen-Vorsitzende Simone Peter sagte, die in TTIP und CETA vorgesehenen Schiedsgerichte gefährdeten die Demokratie.

An der Spitze des kilometerlangen Demonstrationszuges rollten 30 Traktoren der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft. „Auch der grüne Landwirtschaftsminister, auch die rot-grüne Landesregierung in Niedersachsen sollten unseren Protest sehen und hören“, sagte Bundesgeschäftsführer Georg Janßen.

Neben der Großdemonstration sind für Sonntag und Montag acht weitere Kundgebungen angemeldet. Zu einer Aktion am Maschsee „Yes we can – stop TTIP“ werden am Sonntag rund 5.000 Menschen erwartet. Zwei Stunden später will Amnesty International mit rund 100 Anhängern für „Menschenrechte in den USA“ protestieren. (epd)

TTIP – Darum geht es bei dem Abkommen

Der Begriff TTIP (Transatlantic Trade and Investment Partnership) tauchte erstmals Anfang 2013 auf. US-Präsident Barack Obama gab damals den Start von Verhandlungen für ein Freihandelsabkommen mit der EU bekannt. Wenige Monate später beauftragten die 28 EU-Mitgliedstaaten die EU-Kommission mit Verhandlungen. Hauptziel ist es, die Wirtschaftsbeziehungen zwischen den USA und der EU stark auszuweiten. Ziel: Mehr Wachstum und Jobs. Die erste TTIP-Verhandlungsrunde startete im Juli 2013 in Washington.
Der Begriff TTIP (Transatlantic Trade and Investment Partnership) tauchte erstmals Anfang 2013 auf. US-Präsident Barack Obama gab damals den Start von Verhandlungen für ein Freihandelsabkommen mit der EU bekannt. Wenige Monate später beauftragten die 28 EU-Mitgliedstaaten die EU-Kommission mit Verhandlungen. Hauptziel ist es, die Wirtschaftsbeziehungen zwischen den USA und der EU stark auszuweiten. Ziel: Mehr Wachstum und Jobs. Die erste TTIP-Verhandlungsrunde startete im Juli 2013 in Washington. © dpa | Sebastian Gollnow
Die Befürworter streben eine gegenseitige Liberalisierung des Handels mit Waren und Dienstleistungen an. Es geht ihnen um die Abschaffung überflüssiger Vorschriften für Prüfungen und Zertifizierungen und um den Abbau von Handelsschranken und Zöllen. Simples Beispiel: In den USA haben Autos meist rote Blinker, in Europa gelbe. Beide Seiten sollen solche Normen gegenseitig anerkennen. Bei der Einfuhr würden sie dann automatisch akzeptiert.
Die Befürworter streben eine gegenseitige Liberalisierung des Handels mit Waren und Dienstleistungen an. Es geht ihnen um die Abschaffung überflüssiger Vorschriften für Prüfungen und Zertifizierungen und um den Abbau von Handelsschranken und Zöllen. Simples Beispiel: In den USA haben Autos meist rote Blinker, in Europa gelbe. Beide Seiten sollen solche Normen gegenseitig anerkennen. Bei der Einfuhr würden sie dann automatisch akzeptiert. © dpa | Holger Hollemann
Das Handelsabkommen soll den Ländern der EU und den USA den gegenseitigen Zugang zu öffentlichen Ausschreibungen auf allen Verwaltungsebenen eröffnen. Die Industrie erhofft sich davon zusätzliche Chancen auf Aufträge. US-Präsident Barack Obama und Bundeskanzlerin Angela Merkel gehören zu den Befürwortern von TTIP.
Das Handelsabkommen soll den Ländern der EU und den USA den gegenseitigen Zugang zu öffentlichen Ausschreibungen auf allen Verwaltungsebenen eröffnen. Die Industrie erhofft sich davon zusätzliche Chancen auf Aufträge. US-Präsident Barack Obama und Bundeskanzlerin Angela Merkel gehören zu den Befürwortern von TTIP. © dpa | Holger Hollemann
Die TTIP-Gegner befürchten, dass durch das Abkommen die europäischen Standards gesenkt werden. Globalisierungsgegner sehen sich zudem in ihren Befürchtungen bestärkt, weltwirtschaftlich gesehen könnten die Entwicklungsländer die Verlierer der neuen transatlantischen Handelszone sein.
Die TTIP-Gegner befürchten, dass durch das Abkommen die europäischen Standards gesenkt werden. Globalisierungsgegner sehen sich zudem in ihren Befürchtungen bestärkt, weltwirtschaftlich gesehen könnten die Entwicklungsländer die Verlierer der neuen transatlantischen Handelszone sein. © dpa | Fredrik von Erichsen
Umstritten ist bei TTIP die verstärkte Einfuhr gentechnisch veränderter Lebensmittel in die EU. Eine Kennzeichnungspflicht solcher Produkte könnte durch TTIP noch schwerer werden. Erst vor wenigen Monaten sahen sich die Gegner bestätigt: Im November gaben die US-Behörden erstmals ein genetisch verändertes Tier zum Verzehr frei. In den USA darf nunmehr besonders schnell wachsender Lachs verkauft werden – ohne spezielle Kenntlichmachung. Die EU hat bereits ausgeschlossen, das bestehende Verbot von Hormon- oder Chlorhühnerfleisch aufzuheben.
Umstritten ist bei TTIP die verstärkte Einfuhr gentechnisch veränderter Lebensmittel in die EU. Eine Kennzeichnungspflicht solcher Produkte könnte durch TTIP noch schwerer werden. Erst vor wenigen Monaten sahen sich die Gegner bestätigt: Im November gaben die US-Behörden erstmals ein genetisch verändertes Tier zum Verzehr frei. In den USA darf nunmehr besonders schnell wachsender Lachs verkauft werden – ohne spezielle Kenntlichmachung. Die EU hat bereits ausgeschlossen, das bestehende Verbot von Hormon- oder Chlorhühnerfleisch aufzuheben. © dpa | Nigel Treblin
Ein Hauptkritikpunkt an TTIP lautet: Schiedsgerichte sollen hinter verschlossenen Türen über Klagen von Unternehmen und Investoren urteilen, etwa wenn sie eine Verletzung ihrer Eigentumsrechte sehen. Die Gremien sollen nicht mit nationalen Richtern, sondern mit internationalen Juristen besetzt werden. Die Sorge ist groß, dass da unter Ausschluss der Öffentlichkeit gekungelt wird. Inzwischen gibt es jedoch Bewegung. EU-Handelskommissarin Cecilia Malmström hat angekündigt, das Verfahren überarbeiten zu wollen. Sie sprach von öffentlich ernannten, unabhängigen Richtern, die „in transparenten Verfahren“ ihre Urteile sprechen sollen.
Ein Hauptkritikpunkt an TTIP lautet: Schiedsgerichte sollen hinter verschlossenen Türen über Klagen von Unternehmen und Investoren urteilen, etwa wenn sie eine Verletzung ihrer Eigentumsrechte sehen. Die Gremien sollen nicht mit nationalen Richtern, sondern mit internationalen Juristen besetzt werden. Die Sorge ist groß, dass da unter Ausschluss der Öffentlichkeit gekungelt wird. Inzwischen gibt es jedoch Bewegung. EU-Handelskommissarin Cecilia Malmström hat angekündigt, das Verfahren überarbeiten zu wollen. Sie sprach von öffentlich ernannten, unabhängigen Richtern, die „in transparenten Verfahren“ ihre Urteile sprechen sollen. © dpa | Julian Stratenschulte
Bereits ausverhandelt, aber noch nicht in Kraft, ist das Abkommen CETA (Comprehensive Economic and Trade Agreement) zwischen der EU und Kanada. Es gilt als Blaupause für TTIP. In dem überarbeiteten Vertrag ersetzen Handelsgerichtshöfe das umstrittene System privater Schiedsgerichte für Konzerne. Dennoch haben sich in Deutschland 50.000 Kläger zusammengeschlossen, um CETA zu verhindern. Der Bielefelder Professor und Jurist Andreas Fisahn reichte eine Verfassungsklage ein. Auf gut 60 Seiten begründet er in seiner Klageschrift, wie durch solche Abkommen nationales Recht außer Kraft gesetzt werde. Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel dagegen hält CETA für ein „Schutzschild für all das, was Menschen bei TTIP befürchten“.
Bereits ausverhandelt, aber noch nicht in Kraft, ist das Abkommen CETA (Comprehensive Economic and Trade Agreement) zwischen der EU und Kanada. Es gilt als Blaupause für TTIP. In dem überarbeiteten Vertrag ersetzen Handelsgerichtshöfe das umstrittene System privater Schiedsgerichte für Konzerne. Dennoch haben sich in Deutschland 50.000 Kläger zusammengeschlossen, um CETA zu verhindern. Der Bielefelder Professor und Jurist Andreas Fisahn reichte eine Verfassungsklage ein. Auf gut 60 Seiten begründet er in seiner Klageschrift, wie durch solche Abkommen nationales Recht außer Kraft gesetzt werde. Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel dagegen hält CETA für ein „Schutzschild für all das, was Menschen bei TTIP befürchten“. © dpa | Gregor Fischer
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