Athen/Berlin. Sechs Jahre nach dem ersten Hilferuf steckt Griechenland weiter tief im Schlamassel. DIW-Chef Marcel Fratzscher vermisst Reformwillen.

Die meisten Griechen möchten das Datum wohl am liebsten vergessen: Am 23. April 2010 rief der damalige Premierminister Giorgos Papandreou nach Finanzhilfen der Euro-Partner, um die drohende Staatspleite abzuwenden. Das gelang auch – zumindest bisher.

Doch der Preis ist hoch: Das Sparprogramm bescherte den Griechen eine tiefe und lange Rezession. Und trotz der Milliardenkredite, die seither gewährt wurden, kommt der Staat nicht zur Ruhe. Athens Schulden betragen zurzeit knapp 177 Prozent der Wirtschaftsleistung, erlaubt sind eigentlich nur 60 Prozent. Überraschend kam das Desaster nicht. Seit den 80er-Jahren häufte Griechenland nach und nach immer mehr Verbindlichkeiten auf. Vor allem in der Zeit nach der Einführung des Euro mit seinen niedrigen Zinsen machten Staat und Bürger hemmungslos Schulden.

Nach Regierungswechsel Reformen gestoppt

Mit dem Amtsantritt des konservativen Ministerpräsidenten Antonis Samaras nahm Griechenland zwar Reformen in Angriff und 2014 kehrte die Wirtschaft zum Wachstum zurück. Doch Anfang des vergangenen Jahres drehten Alexis Tsipras und sein Finanzminister Yanis Varoufakis die Reformen zurück.

Das Land fiel erneut in die Rezession. Eine Kapitalflucht setzte ein, im Sommer 2015 stand das Bankensystem vor dem Zusammenbruch. An den Bankautomaten gab es kein Geld mehr.

Die Bilanz der bisherigen Rettungsversuche: Griechenland hat ein Viertel seiner Wirtschaftskraft eingebüßt und geht ins siebte Jahr der Rezession. Die Schuldenquote betrug zu Beginn der Krise 125 Prozent des BIP, heute sind es eben jene 177 Prozent. Die Arbeitslosenquote liegt bei 25 Prozent. Löhne und Renten sind seit 2010 durchschnittlich um mehr als ein Drittel geschrumpft. Auch wenn der äußerst selbstbewusst auftretende Professor Varoufakis Geschichte ist, die Krise ist nicht vorbei, sondern wurde lediglich aus den Schlagzeilen verdrängt.

Fratzscher: Reformprozess wird Jahrzehnt dauern

Was aber läuft falsch? Für den Chef des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Marcel Fratzscher, hat sich der Reformwille der Griechen kaum verbessert. Doch müsse die Wirtschaft dringend flexibler und die Institutionen effizienter werden. „Dieser Reformprozess wird nicht in zwei oder drei Jahren abgeschlossen sein, sondern wird mehr als ein Jahrzehnt dauern“, sagte Fratzscher unserer Redaktion.

Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble und Eurogruppenchef Jeroen Dijsselbloem beim Finanzministertreffen am Freitag.
Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble und Eurogruppenchef Jeroen Dijsselbloem beim Finanzministertreffen am Freitag. © dpa | Bart Maat

So rangen am Freitag in Amsterdam die europäischen Finanzminister mal wieder um einen Ausweg. Eurogruppenchef Jeroen Dijsselbloem brachte es auf diesen Nenner: „Kann Griechenland in den kommenden zehn bis 20 Jahren seine Schuld abbezahlen?“ Nun, die Frage wird höchst unterschiedlich beantwortet. Deutschland will das glauben und stemmt sich gegen einen Schuldenschnitt, der Internationale Währungsfonds (IWF) dagegen pocht auf Erleichterungen.

Für Fratzscher ist der sogenannte „Hair Cut“ unausweichlich, „auch wenn man ihn nicht so nennen wird“. Er gehe jedoch davon aus, dass die Laufzeit der Kredite nochmals deutlich verlängert werde, um die Tragfähigkeit der Schulden zu verbessern. Die Gefahr eines Grexits, eines Austritt Griechenlands aus der Euro-Zone, sieht der Wirtschaftsexperte jedoch nicht mehr. „Denn die große Mehrheit in Europa, zunehmend auch in Deutschland realisiert, dass der Euro eine Stärke und ein Anker der Stabilität für Griechenland ist, und nicht eine Schwäche.“

Die EU erhöhte jedenfalls den Druck: Es soll nun ein „Sparpaket auf Vorrat“ in der Höhe von rund 3,5 Milliarden Euro geben. Dijsselbloem erläuterte, man sei nahe an einer Vereinbarung und könne sich schon in der nächsten Woche wieder treffen. Auf die Frage, warum das Extra-Paket nötig sei, antwortete er knapp: „Zur Sicherheit.“ Der griechische Finanzminister Euklid Tsakalotos wandte ein, es sei in seinem Land nicht möglich, Gesetze für den Notfall zu machen. Man könne nicht einen Betrag „x“ festlegen, falls „z“ im Jahr 2018 oder 2019 eintrete. Fortsetzung folgt also.