Berlin. Mütterrente, Rente mit 63 und bald auch eine Mindestrente: Ins Programm von Union und SPD passt Schäubles vehemente Forderung nicht.

Der Vorstoß von Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) hat die Koalition überrascht. Denn die Botschaft vom immer späteren Rentenalter passt nicht in das Programm, das sich Union und SPD für diese Wahlperiode vorgenommen hatten: Da geht es vor allem um neue Wohltaten für Rentner und zusätzliche Leistungen gegen Altersarmut – begleitet jetzt zum 1. Juli von der üppigsten Rentenerhöhung seit zwei Jahrzehnten. Von den harten Rentenreformen des vergangenen Jahrzehnts hatten die Koalitionäre eigentlich genug.

Gleich nach der Regierungsbildung hatte sich Arbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) 2014 daran gemacht, die teuren Wahlversprechen von Union und SPD umzusetzen: Die Reform der Mütterrente weitet die Ansprüche von Frauen und Männern, die Kinder erzogen haben, aus. Rentner, die vor 1992 Kinder bekommen und erzogen haben, erhalten einen weiteren Entgeltpunkt zu ihrem Rentenanspruch – das macht im Jahr pro Kind 343 Euro in den alten Ländern und 317 Euro in den neuen Ländern.

Wohltaten von Union und SPD

Die Mütterrente gilt als Idee der Union, die SPD setzte dafür die Rente mit 63 durch: Seit dem 1. Juli 2014 können Versicherte mit 45 Beitragsjahren schon ab 63 Jahren ohne Abschläge in Rente gehen – rund eine halbe Million Arbeitnehmer haben davon Gebrauch gemacht. Beide Reformen waren umstritten. Zum einen belasten die Kosten von rund sieben Milliarden Euro für die Mütterente und drei Milliarden Euro für die Rente mit 63 die Rentenkasse, die nur vorübergehend ein dickes Finanzpolster gebildet hat. Zum anderen haben Kritiker früh beklagt, die Rente mit 63 reiße in einigen Branchen eine Fachkräftelücke und sende ein völlig falsches Signal: Während sich die Arbeitnehmer langfristig auf ein längeres Erwerbsleben einrichten müssen, wenn sie halbwegs auskömmliche Rentenansprüche sichern wollen, ermutigt die Koalition jetzt zum Sprung in die Frühverrentung. Deshalb passen die neuen Äußerungen von Schäuble kaum zur realen Rentenpolitik dieser Regierung.

Auch in den kommenden Monaten plant die Koalition eine Ausweitung der Leistungen: Im Koalitionsvertrag ist die Einführung einer solidarischen Lebensleistungsrente vereinbart, Nahles will sie jetzt umsetzen. Rentenansprüche von Kleinverdienern sollen damit so aufgestockt werden, dass sie über der Sozialhilfe liegen. Voraussetzung ist allerdings, dass 40 Jahre Rentenbeiträge gezahlt wurden, bis 2023 sollen 35 Jahre Beitragszahlung ausreichen. Diese Reform, die Altersarmut bekämpfen soll, wird anfangs nur rund 200 Millionen Euro im Jahr kosten – mittelfristig werden aber mehrere Milliarden aus Steuermitteln aufgewendet werden müssen. Geplant ist zudem, die Betriebsrenten attraktiver zu machen. Zwar haben rund 60 Prozent der Arbeitnehmer heute Ansprüche aus Betriebsrenten, doch vor allem bei Geringverdienern und in kleinen Unternehmen ist das Instrument wenig verbreitet. Nahles prüft jetzt, wie sich Probleme mit Arbeitgeberzuschüssen, Steueranreizen oder tarifvertraglichen Angeboten lösen lassen.

Thema Altersarmut führt zu neuem Nachdenken

Bis vor einigen Wochen schien es, als sei damit das Rentenprogramm der Koalition abgearbeitet. Doch immer neue Hinweise darauf, dass die politisch gewollte Absenkung des gesetzlichen Rentenniveaus in einigen Jahren verbreitet zu Altersarmut führen wird, haben vor allem SPD und CSU aufgeschreckt: Die Parteichefs Sigmar Gabriel und Horst Seehofer wollen nun auch in der gesetzlichen Rentenversicherung nachbessern und frühere Reformen korrigieren. Das ist selbst in ihren Parteien noch umstritten – und mehr noch in der CDU. Bei einer Konferenz der Fraktionsvorstände von Union und SPD spielte das Thema am Donnerstag nur am Rande eine Rolle, die Fraktionsvorsitzenden bremsten den Elan ihrer Parteichefs deutlich. Die zuständige Arbeitsministerin Nahles will ein Rentenkonzept erst zum Jahresende vorlegen, dessen Auswirkungen für diese Wahlperiode aber überschaubar sein werden: Zur Reform der Betriebsrenten dürften dann auch Vorschläge hinzukommen, wie die Riester-Rente attraktiver gemacht werden kann – darauf pocht inzwischen auch die Union.

Eine kleine Rentenreform könnte es deshalb bis zur Bundestagswahl im September 2017 noch geben. Eine große Rentenreform, wie sie bei SPD und CSU diskutiert wird, aber sicher nicht mehr. Auch wenn die Kanzlerin das gern verhindert hätte, die Rente wird nächstes Jahr zum großen Wahlkampfthema. Versprochen wird dann der Schutz gegen Altersarmut – Schäubles Forderung nach einem höheren Rentenalter aber wird sicher nicht Eingang in die Wahlprogramme finden.