Berlin. Der Protest gegen das TTIP-Abkommen wächst. Die Mehrheit der Bürger ist dagegen, nun rückt auch die Politik ab. Steht TTIP vor dem Aus?
Solch eine Protestbewegung hatte Berlin lange nicht gesehen: Die Überraschung in der Politik war groß, als im Oktober 2015 in der Hauptstadt rund 200.000 Menschen gegen ein Projekt auf die Straße gingen, das viele bis dato eher am Rande wahrgenommen hatten: Das geplante Freinhandelsabkommen der EU mit den USA, kurz TTIP genannt, mobilisierte die Massen.
An diesem Wochenende treffen sich die deutschen TTIP-Gegner erneut, diesmal in Hannover, wo sich US-Präsident Barack Obama zum Messe-Besuch angesagt hat. Die Veranstalter rechnen mit Zehntausenden Demonstranten. Ihr Motto: „Für einen gerechten Welthandel“. Sicher ist: Inzwischen unterschätzt keiner in Berlin mehr die politische Sprengkraft, die in dem Abkommen steckt.
Ein diffuses Unwohlsein vieler Bürger
Worum geht es im Kern? Mit TTIP sollen Handels- und Investitionshemmnisse zwischen den USA und Europa fallen. Die EU und Amerika wollen den mit 800 Millionen Verbrauchern weltweit größten Wirtschaftsraum schaffen – mit mehr Jobs, Wachstum, Wohlstand. Gegner fürchten ein Absenken von Standards im Umwelt- und Verbraucherschutz. Besonders umstritten sind die geplanten Sondergerichte, vor denen ausländische Konzerne Investitionsschutz einklagen können.
Erkennbar ist aber, dass die Kritik an dem Abkommen auch ein diffuses Unwohlsein vieler Bürger gegen „die da oben“ widerspiegelt. Ähnlich wie kürzlich beim Nein der Niederländer zum Abkommen der EU mit der Ukraine bündelt die Anti-TTIP-Bewegung den Protest aus unterschiedlichsten Ecken. Zu den Organisatoren der Demonstration in Hannover am Wochenende etwa zählen Greenpeace und der Naturschutzbund Deutschland genauso wie Brot für die Welt, der Verband Deutscher Schriftsteller, die Katholische Arbeitnehmerbewegung (KAB) oder die Arbeitsgemeinschaft Bäuerliche Landwirtschaft.
TTIP – Darum geht es bei dem Abkommen
„TTIP liegt quer zu Rechtsstaat und Demokratie“
Auch Gewerkschaften unterstützen den Protest. „Dieses Freihandelsabkommen schafft Institutionen, die quer liegen zum Rechtsstaat und zur Demokratie“, erklärte Verdi-Chef Frank Bsirske, „wir fordern faire Verträge.“ Stattdessen setze TTIP auf einen Freihandel, „der ausländische Großkonzerne gegenüber inländischen Unternehmen privilegiert.“
Inzwischen ist die Ablehnung von TTIP in der breiten Bevölkerung angekommen. Das legt zumindest eine aktuelle Studie der Bertelsmann-Stiftung nahe. Danach ist die Zustimmung zu dem Vertrag bei den Deutschen in den vergangenen Jahren deutlich geschwunden: Jeder dritte Deutsche lehnt TTIP demnach komplett ab. Nur knapp jeder fünfte Bundesbürger (17 Prozent) bewertet TTIP als gute Sache.
Damit ist die Zustimmung im Vergleich zu 2014 eingebrochen. Vor zwei Jahren sprach sich mit 55 Prozent noch mehr als die Hälfte der Deutschen für TTIP aus, nur jeder vierte war dagegen.
Regierung fürchtet großes Protestpotenzial
Die Politik hat längst erkannt, dass TTIP kein Gewinnerthema für sie ist – sondern ein Streitthema mit unabsehbarem Protestpotenzial, das womöglich den Wahlkampf vor der Bundestagswahl im Herbst 2017 überlagern könnte. Und das will in der schwarz-roten Koalition keiner.
Doch die Politiker tun sich schwer, den griffigen Parolen der Kritiker („TTIP ist eine Gefahr für Demokratie, Rechtsstaat, Umwelt-, Arbeitnehmer- und Verbraucherschutz“) eine positive Version entgegenzuhalten. „Zuhören und erklären“, empfahl EU-Handelskommissarin Cecilia Malmström, eine erklärte Befürworterin des Abkommens. Doch das ist leicht gesagt – TTIP ist eine sperrige Materie.
Inzwischen gibt es erste Absetzbewegungen in der Politik. „Wenn die Regeln schlecht sind, ... dann ist es auch denkbar, dass die Verhandlungen scheitern“, erklärte Wirtschaftsminister und SPD-Chef Sigmar Gabriel wenige Tage vor der Groß-Demo in Hannover. Die Verhandlungen mit den USA seien „festgefressen“. Die Oppositionsparteien Grüne und Linke lehnen TTIP schon lange rundweg ab.
Franzosen drohen mit Blockade
Auch im Ausland wächst der Unmut. So hat Frankreich, neben Deutschland das zweite Schwergewicht in der EU, in diesen Tagen mit der Blockade der TTIP-Gespräche gedroht, sollte es in den kommenden Monaten keine Fortschritte bei den Verhandlungen mit den USA geben. Handelsminister Matthias Fekl sagte, er habe bereits im September angedeutet, dass ohne ein Vorankommen die Beratungen beendet werden sollten. „Diese Option liegt noch immer auf dem Tisch“, so Fekl.
Wenn der amerikanische Präsident am Wochenende nach Hannover kommt, dürfte er, unterstützt von Bundeskanzlerin Angela Merkel, auch für das Freihandelsabkommen werben. Allerdings muss auch Obama zur Kenntnis nehmen, dass bei ihm zuhause TTIP immer weniger Freunde unter den Bürgern findet. Denn laut der Bertelsmann-Studie geht auch in den USA die Akzeptanz rapide zurück.
Zustimmung in den USA nur noch bei 15 Prozent
So sank dort die Zustimmung von 53 Prozent im Jahr 2014 auf aktuell 15 Prozent. Die Ablehnung stieg leicht von 18 auf 20 Prozent im gleichen Zeitraum. Rund die Hälfte der Befragten sehen sich weder als Befürworter noch als Gegner des Abkommens. Grund für den negativen Trend seien vor allem Klagen über zu wenig Information, hieß es.
Gegenüber vielen deutschen Politikern hat Barack Obama in der brisanten Angelegenheit allerdings einen Vorteil: Er muss im nächsten Jahr keine Wahl bestehen.