Izmir/Athen. Verteidigungsministerin von der Leyen verbucht in der Ägäis den Einsatz gegen Schleuser als Erfolg. Das Ende der Mission liegt fern.

„Augen geradeaus!“, ruft Kommandant Jobst Berg, dann kommt die Verteidigungsministerin in den Hangar des deutschen Versorgungsschiffes „Bonn“ und hebt zu einer Lobeshymne an. „Hervorragend“ sei ihr Eindruck von dem Einsatz, sagt Ursula von der Leyen. Die Soldaten meisterten ihre Aufgabe „mit Bravour“.

Bei der Nato-Mission im östlichen Teil der Ägäis geht es darum, den Flüchtlingsstrom nach Europa zu begrenzen. Acht Schiffe aus sechs Staaten gehören zu dem Verbund, die „Bonn“ ist das Flaggschiff. Die Deutschen liefern Informationen an die Türken, die Griechen und die EU-Grenzschutzbehörde Frontex. Transparenz ist das Wort, das Ministerin von der Leyen gerne verwendet. Flotillen­admiral Jörg Klein, der die Nato-Mission leitet, spricht von „Aufklären, Überwachen, Beobachten“.

Die „Bonn“, 174 Meter lang und 20.000 Tonnen schwer, ist das größte Schiff der deutschen Marine. 202 Soldaten an Bord, fährt sie mit einer Geschwindigkeit von 40 Kilometer in der Stunde durch die Ägäis. Links die türkische Küste, rechts die griechische Insel Chios. Das Wasser blau-türkis, überall Sonne, keine Wolke am Himmel. An diesem Tag ist noch kein Flüchtlingsboot gesichtet worden. Die Soldaten auf der Brücke der „Bonn“ haben schon seit Längerem kein Flüchtlingsboot mehr gesehen.

Die Deutschen melden alle Flüchtlingsboote

Das war vor ein paar Wochen noch anders: Die Deutschen sahen überfüllte Flüchtlingsboote. Große Schlauchboote, billig hergestellt für den einmaligen Gebrauch. Manche hatten 50, eines sogar 80 Menschen an Bord. Die Deutschen melden alle Flüchtlingsboote, die sie sehen. Und die türkische oder griechische Küstenwache nimmt die Menschen an Bord, bringt sie zurück an Land. Oft zerstört die türkische Küstenwache dann das Boot. Selbst eingreifen darf die „Bonn“ nicht. Es sei denn, Flüchtlinge drohen zu ertrinken. Dann müssen die Deutschen die Menschen retten. Doch dieser Fall ist bisher nicht eingetreten.

Die Schlepper selbst steigen nicht an Bord. Sie schicken die Flüchtlinge allein nach Lesbos oder auf eine andere Insel. Ins vier bis acht Kilometer entfernte Europa. Dieses „menschenverachtende Geschäftsmodell“, wie von der Leyen es nennt, soll mithilfe der Nato zerschlagen werden. Dafür soll legale Migration möglich gemacht werden. Dies sieht der Pakt zwischen Europäern und Türken vor.

Auf den ersten Blick sprechen die Zahlen für die Ägäis-Mission: Erreichten im vergangenen Herbst jeden Tag noch 5000 Menschen die Küsten der griechischen Inseln, sind es heute nach Darstellung der griechischen Regierung nur noch 100. Ursula von der Leyen liebt es, Erfolgsgeschichten zu erzählen. Überhaupt wirkt die CDU-Politikerin entspannter als auf ihrer vergangenen Reise in die Türkei, als die Affäre um ihre Doktorarbeit noch nicht ausgestanden war.

Welchen Anteil der Nato-Einsatz in der Ägäis an der Linderung der Krise hat, lässt sich in Wahrheit kaum ermessen. Zu Beginn der Mission änderte sich nichts an den Zahlen der Menschen, die nach Lesbos und auf die anderen griechischen Inseln kamen. Eine größere Wirkung dürften andere Maßnahmen entfalten – vor allem die Schließung der Balkanroute. Für Flüchtlinge ergibt es inzwischen wenig Sinn, den gefährlichen, illegalen und teuren Weg über die Ägäis zu gehen, wenn später am griechisch-mazedonischen Grenzzaun in Idomeni sowieso Schluss ist.

An Mission hatte es auch Kritik gegeben

Die Ägäis-Mission war immer umstritten. Die Opposition sprach von „hilflosem Aktionismus“ und einem „Nato-Einsatz zur Flüchtlingsabwehr“. Sicherheitsexperten warnen zudem vor einer Überdehnung der Bundeswehr. Sie kritisieren, dass die Streitkräfte von der Regierung als Allzweckwaffe eingesetzt werden: bei der Versorgung der Flüchtlinge in Deutschland und in immer mehr Auslandseinsätzen. Im Sommer muss die „Bonn“ zurück nach Wilhelmshaven. Ein anderes Schiff wird sie im Mittelmeer ersetzen. Im Ministerium wird schon gerechnet, wie man die Präsenz in der Ägäis aufrechterhalten kann.

Von der Leyen vermeidet es, die Wirkung der Nato-Mission zu überzeichnen. Sie spricht von einem „Baustein“. Und kündigt schon mal an, dass die deutsche Marine länger in der Ägäis bleiben wird, auch wenn jetzt weniger Menschen die gefährliche Überfahrt versuchen. Die Präsenz der Nato sei wichtig, sagt die Verteidigungsministerin, damit es nicht einen „Rückfall in alte Zeiten“ gebe.

Mit Rückfall meint sie nicht nur die Flüchtlingszahlen, sondern auch den Dauerstreit zwischen Griechenland und der Türkei. Die Nato-Mission lief schleppend an, weil die Schiffe nicht die Freigabe der Regierungen erhielten – zum Teil ist immer noch umstritten, welche Gewässer und welche Inseln nun zu welcher Nation gehören. Von der Leyen beschreibt ihre Soldaten als unabhängige Schlichter. Das sei ein „großer Wert an sich“. Die Ministerin spricht immer wieder von Vertrauen, das entstanden sei.

Dieses Vertrauen ändert jedoch wenig am Ton zwischen Türkei und Griechen. Flotillenadmiral Klein muss sich zusammenreißen, wenn er erzählt, was er täglich mitbekommt. Piloten der griechischen und türkischen Kampfjets beschimpfen sich regelmäßig über Funk. „Liebenswürdigkeiten austauschen“, nennt Klein das.

IS hat Anriffe auf Nato-Schiffe angedroht

Ungefährlich ist der Einsatz für die deutsche Marine nicht. Die Bedrohung durch die Terrormiliz „Islamischer Staat“ (IS) ist da. Der IS hat angedroht, Nato-Schiffe anzugreifen.

Der Besuch der deutschen Ministerin ist in der Gegend eine große Sache. Vor allem in Athen, wo von der Leyen zwischenlandete. Der griechische Verteidigungsminister Panos Kammenos ist ganz aus dem Häuschen, als er eine Pressekonferenz in einem kleinen, stickigen Raum ohne Fenster neben von der Leyen geben darf. Seine „Freundin Ursula“, wie er sagt, habe Ausdauer bewiesen. Die Nato-Mission sei der „Beginn der definitiven Lösung der Flüchtlingsfrage“. Im Überschwang erzählt er, zusammen hätten sie zwölf Kinder, jeder sechs. Ursula von der Leyen guckt irritiert, lacht kurz. Sie hat sieben Kinder.