Karlsruhe. Karlsruhe hat die Befugnisse des BKA bei der Terrorabwehr stark eingeschränkt. Das Gesetz ist laut Urteil in Teilen verfassungswidrig.

Die umfangreichen Befugnisse des Bundeskriminalamts zur Terrorabwehr sind zum Teil verfassungswidrig. Das BKA-Gesetz muss deshalb bis Ende Juni 2018 stark nachgebessert werden. Das hat das Bundesverfassungsgericht am Mittwoch in Karlsruhe entschieden.

Die zahlreichen beanstandeten Regelungen dürfen bis dahin teilweise nur mit Einschränkungen oder Auflagen angewandt werden. Das Urteil fiel nicht einstimmig, zwei der acht Richter schlossen sich der Mehrheitsmeinung nicht an (Az. 1 BvR 966/09 und 1 BvR 1140/09). Die umfangreiche Prüfung der Bestimmungen habe im Ergebnis zu einer Grundsatzentscheidung zum Datenschutzrecht geführt, sagte Vize-Gerichtspräsident Ferdinand Kirchhof.

Wohnungen verwanzen und per Kamera ausspähen

Hintergrund: Um Terroranschläge zu verhindern, dürfen die Ermittler seit 2009 unter anderem Wohnungen verwanzen und mit Kameras ausspähen. Das reformierte BKA-Gesetz ist auch Grundlage für den „Bundestrojaner“, eine eigens entwickelte Software, die auf der Computer-Festplatte eines Terrorverdächtigen Daten zum Beispiel aus Chats abschöpft.

Nach Kirchhofs Worten ist dies zwar im Grundsatz mit den Grundrechten vereinbar. Die konkrete Ausgestaltung der Befugnisse durch den Gesetzgeber sei aber in verschiedener Hinsicht ungenügend. Der Senat habe „in etlichen Einzelvorschriften unverhältnismäßige Eingriffe festgestellt“. Vor allem sei der Kernbereich privater Lebensgestaltung zum Teil nicht ausreichend geschützt. Die Richter vermissen außerdem flankierende Vorgaben, zum Beispiel zu unabhängigen Kontrollen der Überwachungsmaßnahmen.

Tiefer Eingriff in die Privatsphäre

Besonders hohe Anforderungen formuliert das mehr als 100 Seiten starke Urteil für die Überwachung von Wohnungen und die Online-Durchsuchung, die tief in die Privatsphäre eindringen. Es würdigt aber auch die Bedeutung des Anti-Terror-Kampfs für Demokratie und Grundrechte. Die Sicherheit von Staat und Bevölkerung stünden mit anderen hochwertigen Verfassungsgütern im gleichen Rang.

Aus der Entscheidung geht weiter hervor, dass das BKA seine Erkenntnisse an andere deutsche Behörden – wie den Verfassungsschutz oder den Bundesnachrichtendienst (BND) – nur bei einem konkreten Ermittlungsansatz weitergeben darf. Ganz allgemein um Anschläge zu vermeiden, ist das nicht erlaubt. In Staaten außerhalb der Europäischen Union dürfen Daten nur übermittelt werden, wenn dabei nicht der Datenschutz unterlaufen wird. Ein absoluter Hindernisgrund ist, wenn aufgrund dessen womöglich Menschenrechte verletzt werden.

Das Verfassungsgericht entschied zudem: „Nicht hinreichend begrenzt“ sei die Regelung zum Einsatz „von besonderen Mitteln zur Überwachung außerhalb von Wohnungen – etwa durch Observation, Bild- und Tonaufzeichnungen, die Verfolgung mit Peilsendern oder der Einsatz von V-Leuten.“

Richterliche Erlaubnis ist nötig

Wie es weiter in dem Urteil heißt, erlaube das BKA-Gesetz „Maßnahmen, die zum Teil typischerweise dazu führen können, dass auch vertrauliche Situationen erfasst werden, deren Ausforschung dem Staat entzogen ist“. Der Gesetzgeber habe daher „zur Wahrung des Kernbereichs privater Lebensgestaltung“ Schutzvorschriften zu erlassen, an denen es in dem Gesetz aber fehle.

Außerdem sei der Richtervorbehalt, soweit er langfristige Observationen oder nichtöffentliche Gespräche erfasse, „unzureichend ausgestaltet, indem die Maßnahmen zum Teil ganz und zum Teil für einen ersten Monat ohne vorherige richterliche Anordnung erlaubt werden“, so die Richter. Auch die Regelung der Wohnraumüberwachung, die Datenerhebungen sowohl in Form der optischen als auch der akustischen Überwachung erlaubt, entspricht laut Verfassungsgericht „den Verhältnismäßigkeitsanforderungen nur teilweise“.

Der Schutz des privaten Kernbereichs

„Die Regelung zum Schutz des Kernbereichs privater Lebensgestaltung ist verfassungsrechtlich unzureichend“, so die Richter weiter. Da Wohnraumüberwachungen tief in die Privatsphäre eindringen könne, seien die Anforderungen an den Kernbereichsschutz streng. Nach Durchführung einer solchen Maßnahme müssten hier – außer bei Gefahr im Verzug – „zunächst alle Daten von einer unabhängigen Stelle gesichtet werden, ob sie höchstprivate Informationen enthalten, bevor sie vom Bundeskriminalamt verwertet werden dürfen. Dies stellt die Regelung nicht sicher“.

Der Bund Deutscher Kriminalbeamten (BDK) erkennt wenig Auswirkungen der Entscheidung der Verfassungsrichter auf die Arbeit der Polizei. „Die heutige Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts kommt nicht ganz überraschend und ändert für die Praktiker wenig, da die wesentlichen Bestandteile nicht bemängelt wurden und gültig bleiben“, sagte der Bundesvorsitzende des BDK, André Schulz, unserer Redaktion. In dem Urteil zeige sich zudem „langsam ein Umdenken“, sagte Schulz. „Dahingehend, dass die Sicherheitsbehörden eben keine Ausspähorgane sind, sondern lediglich versuchen ihren verfassungsgemäßen Auftrag gerecht werden und die Bürgerinnen und Bürger vor schwersten Straftaten schützen zu können.“

Das Urteil vom Mittwoch kam unter den acht Richtern des ersten Senats nicht einstimmig zustande. Michael Eichberger und Wilhelm Schluckebier vertreten in zwei Sondervoten die Ansicht, dass das Gericht überzogene Anforderungen stellt und viel zu viele Details vorgibt.

Ex-Minister Gerhart Baum war einer der Kläger

Die beiden Verfassungsbeschwerden gegen das BKA-Gesetz waren unter anderem von Ex-Bundesinnenminister Gerhart Baum, dem früheren Kulturstaatsminister Michael Naumann und von mehreren Grünen-Politikern eingelegt worden. Das Bundeskriminalamt war bis 2009 ausschließlich in der Strafverfolgung tätig. Nun soll es vor allem dann eingreifen, wenn länderübergreifend Gefahr droht.

Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) hatte die Regelungen in der Karlsruher Verhandlung im Juli 2015 verteidigt. Dass mehrere Anschläge rechtzeitig vereitelt werden konnten, sei auch dem BKA-Gesetz zu verdanken. Zudem sei die Zahl der überwachten Personen sehr überschaubar. Die Kriminalpolizisten des Bundes sollen vor allem dann eingreifen, wenn eine länderübergreifende Gefahr vorliegt. Bis 2009 waren sie ausschließlich in der Strafverfolgung tätig.