Brasilia. In Brasilien ist ein Machtpoker entbrannt. Der geplante Sturz von Präsidentin Rousseff könnte sogar die Olympischen Spiele überlagern.

Die brasilianische Regierung versucht mit aller Macht das Amtsenthebungsverfahren gegen die umstrittene Präsidentin Dilma Rousseff zu stoppen. Kurz vor der vorentscheidenden Abstimmung am Sonntag im Abgeordnetenhaus betonte der persönliche Berater Rousseffs, Jaques Wagner, nach Angaben des Portals „O Globo“, dass man mit 200 Stimmen gegen die Amtsenthebung rechne.

Das würde reichen, um die für das Abwahlverfahren notwendige Zwei-Drittel-Mehrheit im Parlament zu verhindern. Wird das Quorum von 342 von 513 Stimmen verfehlt, wäre das Amtsenthebungsverfahren gestoppt. Bis zuletzt wurden in Brasilia einzelne Abgeordnete ins Gebet genommen – es gibt dort traditionell keine sehr ausgeprägte Fraktionsdisziplin.

Präsidentin Rousseff spricht von einem „Putsch“

Wird die Mehrheit dagegen erreicht und stimmt anschließend auch der Senat bis Ende April mit einfacher Mehrheit für die Fortführung des Verfahrens, wäre Präsidentin Rousseff zunächst für 180 Tage suspendiert, in der Zeit würden die Vorwürfe intensiv juristisch geprüft. Es geht unter anderem um angebliche Tricksereien beim Staatshaushalt. Rousseff soll die Zahlen geschönt haben, um 2014 ihre Wiederwahl zu sichern. Sie weist die Vorwürfe zurück und warnt vor einem politisch motivierten „Putsch“ von Opposition und früheren Koalitionspartnern.

In der Zeit der Suspendierung würde Vizepräsident Michel Temer (75) die Politikerin der linken Arbeiterpartei ersetzen. Spätestens im Oktober könnte der Senat mit Zwei-Drittel-Mehrheit Rousseff dann endgültig des Amtes entheben und ihr Widersacher Temer würde bis 2018 Präsident bleiben. In Brasilien herrscht auch die Sorge, dass die Affäre die Olympischen Spiele überlagern könnten, die im Sommer in Brasilien stattfinden.

Forderung nach neuem Regierungsstil

Temers Partei der demokratischen Bewegung (PMDB) hat mit der Regierung gebrochen, er hat aber weiter das Amt des Vizepräsidenten inne. Bisher gab es so ein Verfahren in Brasilien erst einmal. 1992 wurde Fernando Collor de Mello nach Korruptionsvorwürfen für 180 Tage suspendiert – und trat schließlich selbst zurück.

Ex-Präsident Luiz Inácio Lula da Silva appellierte per Videobotschaft an die Abgeordneten „mit viel Ruhe nachzudenken“. Im Falle eines Scheiterns des Amtsenthebungsverfahrens der bis 2018 gewählten Präsidentin versprach er „einen neuen Regierungsstil“ – seine Berufung zum Kabinettschef liegt nach einem richterlichen Veto vorerst auf Eis, weil gegen den Ex-Präsidenten Korruptionsermittlungen laufen.

Zustimmung beim Volk für Rousseff gesunken

Rousseff hat für den Fall eines Ende des Amtsenthebungsverfahrens einen nationalen Dialog angekündigt, dann könnte aber auch der Ruf nach Neuwahlen in Brasilien laut werden, da die Zustimmung zu ihr nur noch bei zehn Prozent liegt. Eine tiefe Rezession, und der – aber auch Parteien der Opposition betreffende – Korruptionsskandal bei Auftragsvergaben des halbstaatlichen Petrobras-Konzerns haben den Widerstand gegen sie verstärkt, sie hat wichtige Koalitionspartner verloren und kann daher politisch kaum noch Reformen durchsetzen. (dpa)