Berlin. Die Kanzlerin gibt der Justiz freie Hand für Ermittlungen gegen Jan Böhmermann. Kritik an Angela Merkel kommt auch aus ihrer Koalition.

„Ich halte die Entscheidung für falsch. Strafverfolgung von Satire wegen ,Majestätsbeleidigung’ passt nicht in moderne Demokratie“, ließ Thomas Oppermann, Fraktionschef der SPD im Bundestag, unmittelbar nach dem Statement der Bundeskanzlerin verlauten. „Ich halte das für eine falsche Entscheidung der Kanzlerin“, sekundierte SPD-Vorstandsmitglied Niels Annen.

Diese ebenso prompten wie eindeutigen Reaktionen verdeutlichen, was Angela Merkel vor der Presse selbst eingeräumt hatte: Die Entscheidung über Ermittlungen in der Affäre um das Schmähgedicht des Satirikers Jan Böhmermann gegen den türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan war zwischen Union und Sozialdemokraten heftig umstritten.

Angela Merkels Stimme gab den Ausschlag

Die beteiligten SPD-Bundesminister haben laut Oppermann dagegen gestimmt, auf Wunsch der Türkei ein gesondertes Ermittlungsverfahren gegen Böhmermann zuzulassen. In solchen Fällen unterschiedlicher Auffassungen treffe nach der Geschäftsordnung der Bundesregierung die Kanzlerin eine Entscheidung, sagte Oppermann am Freitag. Eine Krise der schwarz-roten Bundesregierung sah er deswegen aber nicht.

Für die Entscheidung über eine Strafverfolgung Böhmermanns war nach SPD-Angaben die Auffassung der Bundeskanzlerin ausschlaggebend. Auch Außenminister Frank-Walter Steinmeier und Bundesjustizminister Heiko Maas (beide SPD), teilten am Freitag mit, dass die von der SPD geführten und an den Beratungen beteiligten Ressorts gegen die Erteilung einer Ermächtigung votierten.

An den Beratungen waren das Bundeskanzleramt, das Auswärtige Amt sowie das Bundesjustiz- und -innenministerium beteiligt. Also je zwei SPD- und CDU-geführte Ressorts. Wegen Stimmengleichheit sei die Stimme von Angela Merkel letztlich die entscheidende gewesen, erklärte Steinmeier.

Steinmeier (SPD): „Schwierige Entscheidung“

Der Außenminister sprach von einer „schwierigen Entscheidung“. Für beide Alternativen habe es „gute Gründe“ gegeben. Die Ablehnung der SPD erklärte Maas vor allem damit, dass Erdogan zusätzlich zum Verlangen nach einer Strafverfolgung wegen Beleidigung ausländischer Staatsoberhäupter bereits als Privatperson Anzeige wegen Beleidigung erstattet hat.

Es werde also unabhängig von der Ermächtigung „ohnehin von den Gerichten nach Recht und Gesetz entschieden“, sagte er. Maas unterstrich den Wunsch der Bundesregierung nach einer Abschaffung des Paragrafen 103 zur Beleidigung ausländischer Staatsoberhäupter. „Der Gedanke einer Majestätsbeleidigung passt nicht in unser Strafrecht“, sagte er.

Grünen-Chef Özdemir: „Es fühlt sich falsch an“

Kritik kam auch aus der Opposition. Etwa vom Grünen-Vorsitzenden Cem Özdemir: „Die Bundeskanzlerin war in einer schwierigen Lage, in die sie sich auch teilweise selbst gebracht hat“, sagte Özdemir unserer Redaktion. „Nun wurde eine Entscheidung getroffen, mit der ich nicht glücklich bin. Es fühlt sich falsch an, dass es hier eine Sonderbehandlung gibt.“ Dem türkischen Präsidenten habe auch der normale Rechtsweg offen gestanden, sagte Özdemir. Die Sondernorm des Paragrafen 103 StGB müsse rasch abgeschafft werden: „Unsere Fraktion bringt dazu gerade einen Gesetzentwurf ein.“

Linken-Fraktionschefin Sahra Wagenknecht ging per Twitter die Kanzlerin frontal an: „Unerträglicher Kotau: Merkel kuscht vor türkischem Despoten Erdogan und opfert Pressefreiheit in Deutschland.“

FDP-Vorsitzender Lindner: „Große Symbolwirkung“

Auch der FDP-Vorsitzende Christian Lindner kritisiert die Entscheidung Merkels. „Die Symbolwirkung der jetzt erteilten Ermächtigung ist sehr groß“, sagte Lindner unserer Redaktion. „Frau Merkel hätte politisch anders entscheiden müssen, um gegenüber der Türkei unser Verständnis von Meinungsfreiheit und Rechtsstaatlichkeit zu vertreten.“ Erdogan habe Merkel durch veraltetes deutsches Recht unter Druck setzen können. „Er hat die Möglichkeit genutzt, um Frau Merkel in die Defensive zu bringen.“ Seine Kritiker in der Türkei könne Erdogan jetzt mit Verweis auf Deutschland mundtot machen, sagte Lindner. Und: „Es ist richtig, dass der Schah-Paragraf abgeschafft werden soll. Diese Ankündigung entlarvt, mit welchem inneren Widerstand Frau Merkel entschieden hat und wie abhängig wir gegenwärtig von der Türkei sind.“

Volker Kauder (CDU): „Richtig gehandelt“

Unions-Fraktionschef Volker Kauder verteidigte dagegen die Bundeskanzlerin. „Die Entscheidung der Bundesregierung im Fall Böhmermann ist richtig“, erklärte der CDU-Politiker am Freitag in Berlin. Satire dürfe alles, aber nicht jede Beleidigung sei Satire. „Wo die Grenze liegt, entscheiden in unserem Rechtsstaat die Gerichte“, sagte Kauder. „Deswegen hat die Bundesregierung hier richtig gehandelt.“

CSU-Chef Horst Seehofer stellte sich hinter Merkel. Der bayerische Ministerpräsident sprach am Freitag in München von einer „Entscheidung für den deutschen Rechtsstaat und seine Unabhängigkeit“. Merkel habe deshalb auch die Unterstützung der drei CSU-Minister in der Bundesregierung. Die CSU sei der Auffassung, dass in einem fraglos funktionierenden Rechtsstaat wie Deutschland „die Justiz diese Dinge entscheiden sollte“.

Der Vorsitzende der Türkischen Gemeinde in Deutschland, Gökay Sofuoglu, kritisiert die Entscheidung der Bundesregierung. „Ich finde die Entscheidung falsch“, sagte er der „Berliner Zeitung“. „Ich hätte mir gewünscht, dass die Kanzlerin dieses Verfahren nicht zulässt, sondern dass man auf das persönliche Verfahren wartet.“

Journalistenverband sieht „falsches Signal“

Der Deutsche Journalisten-Verband (DJV) und die Gewerkschaft Verdi haben die Entscheidung der Bundesregierung kritisiert. Verdi-Vizechef Frank Werneke sagte am Freitag, die Bundesregierung sei eingeknickt: „Satire-, Kunst- und Medienfreiheit dürfen nicht verhandelbar sein.“ Werneke und der DJV-Vorsitzende Frank Überall sprachen von einem „falschen Signal“ an die Adresse der türkischen Regierung.

„Dieser Entscheidung der Bundeskanzlerin hätte es nicht bedurft, weil der türkische Präsident Erdogan bereits Strafantrag bei der Staatsanwaltschaft Mainz gestellt hat“, sagte Überall. „Es ist allerdings zu begrüßen, dass die Bundeskanzlerin die Abschaffung des Paragrafen 103 in Aussicht gestellt hat.“

ZDF: „Politische Entscheidung“

Böhmermann Sender, das ZDF, wertete die Zustimmung der Bundesregierung für ein gesondertes Strafverfahren gegen den TV-Moderator als „politische Entscheidung“. Inhaltlich nahm der Sender am Freitag keine Stellung dazu und verwies auf das Justizverfahren. „Die Bundesregierung hat eine politische Entscheidung getroffen“, teilte das ZDF auf Anfrage mit. „Voraussetzung einer Strafbarkeit ist aber die Erfüllung des Beleidigungstatbestands. Dazu trifft die Entscheidung der Bundesregierung keinerlei Wertung. Das ist Aufgabe der Justiz.“ (ak/dpa)