Düsseldorf. Mutmaßlicher Reker-Attentäter nennt sich selbst einen „Rebellen“. Sein Anwalt versucht, die Anklage auf „Körperverletzung“ zu drehen.

Erst bat er die SPD-Kandidatin am Wahlkampfstand um eine Rose und lächelte sie freundlich an. Dann stach er zu, und rammte Henriette Reker die Klinge seines Bowiemessers zehn Zentimeter tief in den Hals. Die Frau, die 24 Stunden später zur Kölner Oberbürgermeisterin gewählt wurde, überlebte durch eine Notoperation. Der Mann, der mit dem Messer fünf weitere Menschen an jenem 17. Oktober 2015 schwer verletzte, ehe er sich widerstandslos festnehmen ließ, sitzt seit gestern vor dem Oberlandesgericht in Düsseldorf. Die Bundesanwaltschaft in Karlsruhe hat Frank S. aus Köln wegen Mordversuchs und fünffacher Körperverletzung angeklagt.

Für seinen Anwalt Christoph Miseré ein „politischer Prozess“. In seiner Eröffnungserklärung im Hochsicherheitstrakt des Gerichts versteigt der Verteidiger sich zu der Behauptung: „Würde es sich beim Opfer nicht um eine hochrangige Politikerin handeln, würden wir gefährliche Körperverletzung verhandeln.“ Die Kriterien müssten aber für alle Menschen gleich sein. Immerhin habe sein Mandant den Tötungsversuch ja nicht vollendet: „Es wäre ihm ein Leichtes gewesen, weiter zuzustechen.“

Die Vorsitzende Richterin Barbara Havliza, die erst einmal sechs Verhandlungstage angesetzt hat, weist den Vorwurf zurück. Man sei unabhängig und führe keine politischen Prozesse. Bundesanwalt Lars Otte stellt mit der Verlesung der Anklage klar, dass er Absicht und Heimtücke erkennt: „Das Opfer war ahnungs- und wehrlos, als der Täter auf es zutrat.“

Ein selbstbewusster Angeklagter

Frank S. sitzt nicht kleinlaut auf der Anklagebank. Er wendet den Blick von Havliza nicht ab, die über Stunden mit ihm im Frage-Antwort-Modus seine Biografie seziert. Er stammelt nicht nervös herum oder gibt sich unangenehm berührt. Der durchtrainierte Mann mit Bärtchen und kurz geschorenem Resthaar am Hinterkopf, blauweiß kariertem Hemd und umgekrempelten Jeans, will reden. Er will das Bild vom „einsamen, frustrierten Spinner“ korrigieren, das die Medien nach der Tat von ihm gezeichnet hätten, er wird im Verlauf des Prozesses ganz gewiss noch etwas über all das sagen, was in Deutschland seiner Meinung nach schief läuft.

Frank S., der Maler und Lackierer, der in Düsseldorf geboren wurde und bei einer Pflegefamilie in Bonn offenbar mehr gequält als verwöhnt wurde, stromerte in den Neunzigern zwar mit einer rechten Hooligan-Clique namens „Berserker“ durch Bonn, saß wegen Körperverletzung drei Jahre im Gefängnis und hatte Kontakte zu rechten Parteien wie der verbotenen FAP. Aber im Saal sitzt kein dumpfköpfiger Parolenschreier mit Skinhead-Allüren, sondern eher ein Verschwörungstheoretiker mit einem üppigen Aktenordner, der gerne aus der FAZ zitiert. „Ich bin kein Nazi, sondern ein wertkonservativer Rebell“, erklärt er; der Widerspruch entlockt sogar der Richterin ein kurzes Lächeln.

Frank S. glaubt, dass „heute doch schon jeder als Nazi beschimpft wird, wenn er die EU kritisiert oder pünktlich zur Arbeit geht“. Sein Anwalt betont, dass er nichts rechtfertigen wolle, um es dann doch zu tun: Man dürfe nicht übersehen, dass die Tat in eine Zeit falle, in der „viele Bürger mehr als irritiert waren über die Flüchtlingspolitik der Regierung, und die Meinungsfreiheit schien eingeschränkt“. Erst nach den Kölner Silvesterexzessen habe sich das geändert.

Die Flüchtlingspolitik als Rechtfertigung

Frank S. will über seine Motive erst in einigen Wochen vor Gericht sprechen, aber der Rahmen scheint klar, denn das Wort vom „millionenfachen Rechtsbruch in Deutschland“ lässt er schon einmal fallen. Man muss kein Prophet sein, um zu wissen, dass er die Flüchtlingspolitik meint. Henriette Reker, damals Sozialdezernentin der Stadt Köln, versinnbildlicht mit ihrer liberalen Politik für ihn offensichtlich das Dilemma. In zwei Wochen kann er ihr das noch einmal sagen. Dann sitzt die 59-Jährige im Zeugenstand.

Vielleicht lässt sich dann auch noch klären, ob es stimmt, was die Polizisten behaupten, die Frank S. zur Wache brachten. Ihnen soll er gesagt haben: „Ich hoffe, dass sie noch stirbt.“