Berlin. Eine Expertenkommission empfiehlt die Auflösung der Stasi-Unterlagenbehörde in Berlin. Laute Kritik erntet aber ein anderer Vorschlag.

111 Kilometer Akten. 41 Millionen Karteikarten. 1,7 Millionen Fotos. Die Stasi war maßlos im Ausspionieren – und im Aktenanlegen. Diese Zeugnisse der kommunistischen Diktatur werden von der Stasi-Unterlagen-Behörde in Berlin aufgehoben und verwaltet. Doch jetzt steht die Behörde vor dem Aus: Mehr als ein Vierteljahrhundert nach dem Fall der Mauer und dem Ende des SED-Regimes empfiehlt eine Expertenkommission das Ende der Stasi-Unterlagen-Behörde.

Wolfgang Böhmer (CDU), Vorsitzender des Gremiums und ehemaliger Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt, spricht sich für die Überführung der Akten ins Bundesarchiv aus. Der stellvertretende Vorsitzende der Kommission, Richard Schröder, Theologe und ehemaliger DDR-Oppositioneller, hat für diese Empfehlung eine eingängige Erklärung parat: „Das Bundesarchiv kann es besser.“

Die Kommission ist sich nicht einig

Mit Kritik und Widerspruch haben Böhmer und Schröder gerechnet. Jeder Satz im Papier sei vorsichtig und nach langer Beratung formuliert worden, sagte Böhmer über die Arbeit. „Wir wussten von vornherein, dass wir nicht alle einer Meinung sein werden.“

Und tatsächlich gab Kommissionsmitglied Hildigund Neubert, die ehemalige Landesbeauftragte des Freistaats Thüringen für die Stasi-Unterlagen, einen eigenen Vorschlag zur Neuordnung ab. Sie spricht von einer geplanten „Verstümmelung“ der Behörde.

Dagegen wehren sich Böhmer und Schröder. Einige Strukturen der Behörde des Bundesbeauftragten hätten sich durchaus bewährt, andere nicht. So sollen die Stasi-Unterlagen der Bundesbehörde zwar in der Normannenstraße verbleiben, aber zukünftig dem Bundesarchiv unterstellt werden. Der Zugang zu den Akten soll wie bislang erhalten bleiben. Deutlich verändern möchte die Kommission aber das Profil des Bundesbeauftragten. Er soll zu einem politischen Ombudsmann der Opfer der DDR-Diktatur werden und damit eng an die Bundespolitik gebunden sein – eine Funktion ähnlich wie die des Wehrbeauftragten. „Er ist dann nicht mehr Chef der Verwaltung“, sagte Böhmer. Das entlaste den Bundesbeauftragten. Und gebe ihm Raum, sich auf seine politische Funktion zu konzentrieren.

Jahn gefällt die Idee eines Ombudsmanns

Denn zunehmend setzt sich die Erfahrung durch, dass es DDR-Opfergruppen gibt, die zwar nicht direkt von der Stasi verfolgt wurden, aber trotzdem zu leiden hatten. Ein Beispiel sind die Heimkinder oder DDR-Leistungssportler. Auch für diese Gruppen wäre ein solcher Ombudsmann der Opfer dann zuständig. Roland Jahn, Bundesbeauftragter für die Stasi-Unterlagen, befürwortet deshalb gegenüber der Berliner Morgenpost diesen Vorschlag: „Ich begrüße aus meiner eigenen Erfahrung heraus, dass jetzt der Horizont für die Aufgaben der Bundesbeauftragten erweitert wird – weg von der Fixierung auf die Stasi, hin zu der Beschäftigung mit der DDR-Diktatur insgesamt.“ Das biete die Chance, die Belange der Opfer zu stärken und Opposition im Widerstand besser zu würdigen, sagte Jahn. In vier Bundesländern sei aus dem Landesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen schon ein Beauftragter für die Folgen der SED-Diktatur geworden. Die Kommission hebe mit ihrem Vorschlag diese Tendenz auf die Bundesebene, sagte Jahn.

Grüne Fraktionschefin: „Das ist ein guter Vorschlag“

Auch ansonsten äußerte sich Jahn zurückhaltend wohlwollend zu dem Bericht der Kommission. „Die Vorschläge der Expertenkommission bilden eine solide Grundlage für die parlamentarische Arbeit des Bundestages“, sagte Jahn.

Die grüne Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt befürwortete die Idee der Kommission. „Das ist ein guter Vorschlag“, sagte sie unserer Redaktion. Die Expertenkommission habe Möglichkeiten für den Erhalt des offenen Zugangs und die Bewahrung der dezentralen Struktur der Außenstellen skizziert. Die Empfehlungen setzten ein klares Zeichen für eine weitere Aufarbeitung der SED-Diktatur. Göring-Eckardt, geboren und aufgewachsen in Thüringen, wünscht sich jetzt eine breite Beteiligung des Parlaments an der Diskussion.

Streit um die Zukunft von Hohenschönhausen

Auch Tankred Schipanski, CDU-Bundestagsabgeordneter aus Thüringen, hält die Eingliederung der Jahn-Behörde ins Bundesarchiv für den richtigen Weg. Unzufrieden ist er aber mit einem anderen Vorschlag der Kommission. „Die ostdeutschen Abgeordneten der Unionsfraktion können nicht nachvollziehen, dass die Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen in einer neuen Stiftung mit den Gedenkstätten in der Normannenstraße und in der Magdalenenstraße zusammengeführt werden soll“, sagte Schipanski dieser Zeitung. Nach der Wende hätten Millionen Menschen Hohenschönhausen, das Stasi-Gefängnis schlechthin, besucht. „Das jetzt zusammenzuführen mit der früheren Stasi-Zentrale erschließt sich uns überhaupt nicht.“ Die ostdeutschen CDU-Abgeordneten wollen es so belassen, wie es jetzt ist.

Die ostdeutsche Staatssicherheit unter Minister Erich Mielke war ein zentrales Instrument für die DDR-Spitzenfunktionäre, um ihre Macht zu erhalten – durch die Ausspionierung der eigenen Bevölkerung. Die Stasi-Unterlagen-Behörde wurde 1990 gegründet, erster Vorsitzender war der heutige Bundespräsident Joachim Gauck.