Berlin. Der türkische Präsident Erdogan stellt persönlich Strafanzeige gegen Jan Böhmermann. Dahinter steckt politisches Kalkül. Ein Kommentar.

Ein Staatspräsident, der Strafanzeige gegen einen Satiriker stellt, ein Vize-Regierungschef, der ein geschmackloses Schmähgedicht zu einem „schweren Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ hochstilisiert – die Affäre um den Text des ZDF-Moderators Jan Böhmermann nimmt immer absurdere Züge an. Haben die Machthaber in Ankara jedes Maß verloren? Wahrscheinlicher ist wohl, dass Erdogan und seine Gefolgsleute genau wissen, was sie tun.

Mit seiner Strafanzeige erhöht Erdogan den Druck auf Bundeskanzlerin Angela Merkel noch einmal. Er weiß: Die Regierungschefin ist in Berlin in der bisher schwierigsten Phase ihrer mehr als zehnjährigen Kanzlerschaft; die Zustimmungswerte für Merkel sinken, die Flüchtlingskrise hat sie politisch geschwächt, sie muss mit Kritik aus dem eigenen Lager kämpfen. Durch das Flüchtlingsabkommen mit der Türkei hat Merkel sich gewissermaßen Erdogan ausgeliefert: Wenn es dem Präsidenten gefällt, kann er die Tür Richtung Westens jederzeit wieder für die Flüchtlinge öffnen.

Merkel agiert nicht souverän

Angela Merkel hat in den ersten Tagen nach Böhmermanns Sendung nicht eben souverän agiert. Die beschwichtigenden, entschuldigenden Worte Richtung Ankara waren das falsche Signal. Eine deutsche Regierungschefin hat sich nicht zu entschuldigen für einen satirischen Beitrag im Fernsehen, und sei er noch so unter der Gürtellinie.

Angela Merkel ist nun am Zuge. Sie muss entscheiden, ob sie dem Begehren der Türkei stattgibt, gegen Böhmermann auf Grundlage des Strafgesetzbuches zu ermitteln. In Deutschland erwartet die große Mehrheit von ihr, dass sie Erdogan eine Abfuhr erteilt; die Türkei dagegen fordert eine harte Linie gegen Böhmermann. Merkel steckt nun in der Zwickmühle: Entweder sie setzt sich dem Vorwurf aus, die Meinungsfreiheit preiszugeben – oder sie verprellt ihren wichtigsten Partner in der Flüchtlingskrise. In diese unangenehme Lage hat sich die Kanzlerin durch ihre anbiedernde Haltung gegenüber Erdogan selbst manövriert.