Berlin. Bundespräsident Gauck mahnt die Politik zur Eile bei der Integration der Flüchtlinge. Im Koalitionsstreit ist aber kein Ende in Sicht.

Deutschland verändere sich „beinahe über Nacht“, stellt Joachim Gauck fest. Gleich aus den ersten Worten des Bundespräsidenten bei einer Tagung am Donnerstag hört man seine Ungeduld heraus. In der Flüchtlingskrise – bei der Integration der Zuwanderer – soll die Politik keine Zeit verlieren.

Gestern stimmte Kanzlerin Angela Merkel (CDU) die Integrationspolitik mit Frankreich ab, heute berät sie sich mit Vertretern von Wirtschaft, Gewerkschaften, Kirchen und Verbänden. Alle machen Tempo, allen voran: Gauck.

Der Präsident wünscht sich einen „ernsthaften politischen Diskurs“

„Der Integrationsprozess sollte sofort nach der Ankunft beginnen. Je früher Menschen, die wahrscheinlich bleiben werden, die deutsche Sprache lernen und arbeiten können, je früher auch Menschen, die nur vorübergehend bei uns sind, in den Alltag einbezogen werden, desto besser für uns alle“, meint Gauck. Auf einem Symposium zur Integration warnt er, „sonst riskieren wir, dass Frust und Langeweile in Gewalt und Kriminalität umschlagen oder politischer und religiöser Extremismus gedeihen. Wir dürfen keine Bedingungen begünstigen, die wir später bereuen.“

Der Präsident wünscht sich einen „ernsthaften politischen Diskurs“. Im Kreis von Experten wie dem früheren nordrhein-westfälischen Integrationsminister Armin Laschet (CDU) macht er sich daran, „das weite Feld der Integration zu vermessen“. Es ist Gaucks Wir-schaffen-das-Versprechen: „Wir können der Erfolgsgeschichte dieser Republik ein weiteres Kapitel hinzufügen. Wir können eine Gesellschaft schaffen, in der nicht zählt, woher einer kommt, sondern wer er ist und wohin er geht.“ Schöne Worte.

Gauck bleibt nicht verborgen, dass die „Polarisierung zunimmt“. Er mag an rechtspopulistische Parteien gedacht haben. Doch die Zuwanderung – Gauck: „eine Chance für alle“ – ist auch nicht gerade das Leitprojekt der Regierung, sondern vielmehr ein Konfliktfeld.

Sonderkonferenz der Ministerpräsidenten am 22. April in Berlin

Wie zum Hohn streitet die Koalition unerbittlich über die Flüchtlingsfrage. CSU-Chef Horst Seehofer wirft der Regierung einen „selbstherrlichen“ Stil vor. Im Zentrum der Kritik: Innenminister Thomas de Maizière (CDU). Er hat den Freistaat nicht konsultiert, bevor er Österreich in Aussicht stellte, die Grenzkontrollen aufzuheben. Wenn er heute die aktuellen Zahlen über die Asylbewerber vorlegt, warten die Länder auf eine Prognose für die Zuwanderung in diesem Jahr – wohl vergeblich.

Dabei brauchen sie eine Planungsgröße, wissen um die Dimension der Herausforderung: Wohnungsbau fördern, Erzieher und Lehrer ausbilden, Arbeitsmarkt und Ausbildung anpassen, Sprachkurse anbieten, Landeskunde, Recht, Werte, Gebräuche vermitteln. Das kostet Energie, Engagement und viel Geld. Für den 22. April setzten die Ministerpräsidenten eine Sonderkonferenz in Berlin an. Länger wollen sie sich von der Kanzlerin nicht hinhalten lassen.

Nicht nur im Verhältnis zu Ländern im Allgemeinen und zum CSU-regierten Bayern im Besonderen hakt es – auch im Kabinett hängt der Haussegen schief. Zwar will der Innenminister im Mai ein Integrationsgesetz vorlegen, aber was sein Ressort plant – Strafen für Integrationsverweigerer etwa –, ruft Kritiker wie DGB-Chef Reiner Hoffmann auf den Plan. „Völlig überflüssig“, schimpft er. „Nicht mal die Zahl der Verstöße gegen Inte­grationsauflagen ist bekannt.“

Rollen verteilt: Die SPD will mehr fördern, die Union eher fordern

Die Rollen sind verteilt: Die Union will fordern, die SPD fördern. „Einen dauerhaften Aufenthalt in Deutschland kann es nur für Flüchtlinge geben, die sich hier integrieren, unsere Sprache lernen und für sich selber sorgen können. Alle anderen sollten Deutschland wieder verlassen müssen, sobald der Krieg zu Hause beendet ist“, verlangt CDU-Präsidiumsmitglied Jens Spahn. Er sei sich sicher, „die große Mehrheit der Deutschen sieht das genau so“, sagt er unserer Redaktion. Warum die SPD jeden, ob er sich integriert habe oder nicht, nach drei Jahren dauerhaft hier leben lassen wolle, „kann sie wahrscheinlich nicht mal ihren eigenen Wählern erklären“.

SPD-Generalsekretärin Katarina Barley hält dagegen: „Wir warten immer noch darauf, dass ausreichend Integrationskurse, Sprachkurse und ähnliches endlich angeboten werden. Wir haben lange Wartelisten für diese Kurse.“ Was nicht fehlt: Strafen. „Das muss ein echtes Integrationsgesetz werden und kein Repressionsgesetz“, mahnt Nahles.

De Maizière will Flüchtlingen nur dann ein Daueraufenthaltsrecht geben, wenn sie ausreichend Deutschkenntnisse vorweisen können. Die Kenntnisse, die er voraussetze, rügt Nahles im „Tagesspiegel“, würden Leute aus Kulturkreisen mit völlig fremder Sprache und anderem Alphabet „nur sehr schwer innerhalb von drei Jahren erreichen“. Und das sei „in höchstem Maße unfair“.