Berlin. Thomas de Maizière hat eine „Tendenz zur Verrohung“ in Deutschland ausgemacht. Nun will der Innenminister Schutzmaßnahmen ergreifen.

Gerichtsvollzieher, Zoll­beamte, Mitarbeiter von Ämtern, Lehrer, Politiker, Polizisten oder Rettungskräfte werden immer öfter Opfer von Hassattacken, Pöbe­leien, Angriffen. Es gebe eine „Tendenz zur Verrohung“ der Sprache, die im Einzelfall in Gewalt ­umschlage, beklagte Innenminister Thomas de Maizière (CDU) auf einer Tagung gestern in Berlin.

2014 wurden nach Angaben des Bielefelder Konfliktforschers ­Andreas Zick 700 Mitarbeiter von Rettungsdiensten sowie 60.000 Polizisten und Vollzugsbeamte ­angegriffen – darunter waren fünf Todesfälle. Bei der Bahn stieg die Zahl der Körperverletzungen im selben Zeitraum um 200 Prozent auf 1199 Fälle an. In NRW wurden 13 452 Polizisten Opfer von Gewalt, 14,1 Prozent mehr als 2013.

„Was ist los in unserem Land?“

Das Phänomen ist nicht neu, die Fälle sorgen seit Jahren für Schlagzeilen. Einige gravierende Beispiele: 2012 erstach ein Arbeitsloser eine Sachbearbeiterin im Jobcenter Neuss. 2014 tötete ein Steuer­berater in Rendsburg einen Finanzbeamten. 2015 schoss ein Landwirt in Brandenburg auf einen ­Mitarbeiter des Veterinäramts.

Der Trend zu mehr Gewalt und Respektlosigkeit treibe ihn seit Langem besonders um, erzählte de Maizière. „Was ist los in unserem Land?“ Zugleich kündigte der ­Innenminister Maßnahmen zum besseren Schutz der Beschäftigten im öffentlichen Dienst an:

Ein Gesetzentwurf sieht vor, dass der Bund die Schmerzensgeldansprüche für angegriffene Beschäftigte regelt, wenn der Täter selbst zahlungsunfähig ist. Solche Regelungen gibt es auf Länderebene bisher nur in Bayern und Schleswig-Holstein.

• Die Bundespolizei erprobt an fünf Standorten – unter anderem in Köln – ein Jahr lang den Einsatz von Bodycams. Die Polizisten ­tragen die Kameras am Körper, im Konfliktfall helfen die Aufnahmen bei der Beweissicherung. Zugleich sollen sie die Täter abschrecken.

• In Ämtern werden an den Arbeitsplätzen Notruftasten eingebaut, um in kritischen Situationen Alarm schlagen zu können.

• Speziell zum Schutz der Poli­zisten will de Maizière auf härtere Strafen und schnellere Verfahren dringen, um Täter abzuschrecken. „Härtere Strafen helfen. Wir reden in der Innenministerkonferenz ­darüber“, kündigte er an. Der Deutsche Richterbund wies die Kritik der Polizeigewerkschaft zurück, Gewalt gegen Polizisten und ­andere Beschäftigte des öffent­lichen Dienstes werde von den Gerichten nicht angemessen bestraft.

• Mehr Schulungen in Deeskalation. In bestimmten Fällen vermeiden die Jobcenter längst schon Einzelgespräche, damit der Sachbearbeiter immer Unterstützung hat.

De Maizière weiß natürlich, dass sich das eigentliche Problem damit nicht erledig hat. „Was wir heute dringender denn je brauchen, ist die Rückbesinnung auf ethische Grenzen, vielleicht sogar auf ­moralische Tabus“, sagte er und mahnte damit ganz altmodische Tugenden an: Respekt, Höflichkeit, Freundlichkeit.

Das Internet hat den Trend verstärkt

Das Internet habe den Trend zu mehr Respektlosigkeit und Gewalt ganz erheblich verstärkt, so der ­Minister. „In sozialen Netzwerken explodiert mittlerweile der Hass“, kritisierte er. Das Problem verschärfte sich im Zuge der Flüchtlingskrise. 2015 wurden rund 1000 Übergriffe auf Asylunterkünfte ­gezählt. Betroffen waren auch das Personal, die Hilfsdienste und die Polizei. Wenn die Gesellschaft der Entwicklung nicht Einhalt gebiete, drohe der Zusammenhalt Schaden zu nehmen, warnte de Maizière .